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Befehl zum Angriff durch Wellington

Das gewaltige Ringen, welches im Verlaufe eines Sonntag-Nachmittags über das Schicksal von Frankreich und in gewissem Sinne von ganz Europa entschied, stellt sich als eine fortdauernde Kette französischer Offensivstöße dar, denen gegenüber die Wellingtonsche Armee zunächst in reiner Defensive verharrte. Nur gelegentlich unternahmen die Verbündeten Gegen-Offensivstöße, stets aber nur in Erwiderung des Angriffs und nur mit der Kavallerie auf größere Strecken bis in die französische Anfangs-Aufstellung hinein, mit der Infanterie nur soweit, wie es die unmittelbare Abwehr gebot.

Aus dem dichten Gewühl der auf engstem Raum sich abspielenden Einzelkämpfe heben sich infolgedessen als selbständige Abschnitte nur die Schlachtmomente heraus, zu denen Napoleon und sein Marschall Ney durch ihre Anordnungen das Gesetz vorschrieben. Von der französischen Seite muß man daher ausgehen, wenn man in die von unzähligen Teilnehmern und stets anders geschilderten Schlachtbilder eine leidliche Ordnung bringen will.

Deutlich treten alsdann fünf Hauptakte des gewaltigen Dramas hervor.

Zuerst - gegen ½ 12 Uhr - läßt Napoleon, wohl um Wellingtons Aufmerksamkeit von seiner hauptsächlich gefährdeten Mitte abzulenken, durch die Division Jérôme Park und Schloß Hougoumont angreifen. Während dort der erbitterte Kampf hin und her wogt, vereinigt er eine gewaltige Batterielinie von 80 Geschützen vorwärts der Aufstellung des Korps Erlon und läßt von ½ 2 Uhr ab die gesamte gegenüberliegende Stellung beschießen.

Gegen 2 Uhr befiehlt er Ney, zum Angriff vorzugehen und sich des Dorfes Mont St. Jean zu bemächtigen. Jetzt schon sind die Spitzen des preußischen Anmarsches bei Chapelle St. Lambert sichtbar geworden; Napoleon rechnet fest auf zeitgerechtes Herankommen des Marschalls Grouchy von Wavre, läßt aber bereits die Kavalleriebrigaden Domon und Subervie südlich Frichermont mit Front gegen Nordwesten Aufstellung nehmen und das VI. Korps als weiteren Schutz für seine rechte Flanke nachrücken.

Der erste Hauptakt des Kampfes beginnt. In 4 Kolonnen greift das östlich stehende Korps Erlon Wellingtons Zentrum rechts und links der Brüsseler Straße an. Nach anfänglichen Erfolgen - mit hervorgerufen durch das vom Kaiser veranlaßte Eingreifen der Kürassierbrigade Travers vom Korps Milhaud - muß Erlon die schon erreichte Hauptstellung der Verbündeten wieder verlassen, ein großartiger Offensivgegenstoß Wellingtons mit Infanterie und Kavallerie läßt Neys ersten Angriff völlig scheitern. Die Gebäude des Pachthofes von la Haye Sainte sind in den Händen der Deutschen geblieben, das Korps Reille hat sich am Angriff nicht beteiligt. Bei Hougoumont dauert der Kampf mit wechselndem Erfolg fort.

Nach längerer Gefechtspause unternimmt Ney gegen ½ 4 Uhr seinen zweiten Angriff. Wieder beginnt eine gewaltige Kanonade den Kampf, der anfänglich nur von Infanterie geführt wird. Ney sieht große Mengen von Verwundeten und Gefangenen hinter die feindliche Stellung zurückströmen, deutet daraus irrtümlich den Beginn eines feindlichen Rückzuges und erzwingt das Vorgehen der Kavallerie-Division Milhaud, dem sich die Garde-Schwadronen des Generals Lefebvre-Desnoëttes anschließen. - Neys erster Kavallerie-Angriff. - Wieder wird die feindliche Hauptstellung erreicht, aber alle Bravour scheitert an der unerschütterten Haltung der deutsch-englischen Infanterie. Unter schwersten Verlusten müssen die Franzosen zurück; ein sofort wiederholter Angriff - Neys zweiter Kavallerie-Angriff - scheitert wie der erste; Wellingtons Reitergeschwader säubern das Feld, seine Infanterie und Artillerie nehmen ihre alten Stellungen wieder ein. Der Pachthof la Haye Sainte, dessen Wegnahme dem Marschall Ney ausdrücklich anbefohlen war, ist in den Händen der Deutschen verblieben.

Der dritte Teil des blutigen Ringens - gegen 5½ Uhr - wird durch das Einsetzen der bisher zurückgehaltenen Kavallerie-Division Kellermann und der Kavallerie-Reserve Guyot gekennzeichnet, während Napoleon gleichzeitig in seiner rechten Flanke sich der Angriffe des preußischen Korps Bülow bei Planchenoit erwehren und hier bereits die junge Garde einsetzen muß. Auch in einem dritten und vierten Angriff mit seinen vereinten Reitergeschwadern vermag Ney die feindliche Linie nicht zu durchbrechen. Seine bis zu den Grenzen des Wahnsinns gesteigerte Erregung läßt ihn das rechtzeitige Heranziehen der noch frischen Infanterie des Korps Reille vergessen. So teilt diese - gegen 6 Uhr vorgeholt - das Schicksal der opfermutigen Reitergeschwader. Ein Gegenstoß der deutsch-englischen Infanterie-Brigaden läßt Neys Truppen fast vernichtet in das Tal zurückfluten. La Haye Sainte ist noch in den Händen der Verteidiger.

Aber auch die Widerstandskraft der Verbündeten läßt allmählich nach. Die ganze Last des Kampfes liegt schon seit Stunden auf den Schultern der Engländer, Hannoveraner und anderen deutschen Truppenkontingente, während der größte Teil der niederländischen Truppen, fast ein Drittel von Wellingtons Gesamtstärke, mit nur wenigen Ausnahmen nach und nach aus dem Kampfe ausgeschieden ist. Die Verluste haben eine bedenkliche Höhe erreicht, eine große Zahl von befehligenden Offizieren ist tot oder verwundet, ein Erlahmen der feindlichen Angriffskraft infolge des Eingreifens der Preußen bei der räumlichen Entfernung der letzteren und bei der fanatischen Wut der Franzosen nicht zu spüren.

Da erfolgt um 6 Uhr auf unmittelbaren Befehl des Kaisers der vierte Hauptangriff, diesmal mit der ausdrücklichen Weisung, la Haye Sainte, koste es, was es wolle, in Besitz zu nehmen.

Jetzt erst räumt der tapfere Major Baring nach mehr als vierstündigem heldenmütigen Widerstande den so überaus wichtigen Punkt, den er aus Mangel an Munition mit seinem Häuflein von Streitern nicht mehr zu schützen vermag. Unmittelbar neben dem Pachthof läßt Ney Batterien auffahren, die auf nur 300 m Entfernung ein verheerendes Feuer gegen Wellingtons Hauptstellung richten. Die höchste Krisis des Kampfes tritt ein, die Legionsbrigade Ompteda wird fast völlig aufgerieben. Jetzt für Ney einige frische Bataillone und die Stellung ist durchbrochen, die Schlacht für den Kaiser gewonnen!

Gerade jetzt aber macht sich der Druck des preußischen Angriffs gegen Napoleons Rückzugslinie bei Planchenoit fühlbar. Der Kaiser vermag in dem für Ney entscheidenden Augenblick ihm die dringend erbetene Verstärkung an Infanterie nicht zu senden, weil er seiner letzten Gardebataillone zur Sicherung seiner rechten Flanke und seines Rückens zu bedürfen glaubt. Zwar gelingt es ihm, Planchenoit wieder zu nehmen und sich die Preußen für einige Zeit vom Leibe zu halten, aber nun ist der günstige Zeitpunkt verpaßt, Wellington hat seine gefährdete Mitte durch frische Truppen - Braunschweiger, hannoversche Brigade Vincke - verstärkt; Ney kommt nicht durch.

Der fünfte Hauptangriff - als letztes Mittel gegen ½ 8 Uhr Abends mit 5 Bataillonen der mittleren Garde unternommen - mußte daher scheitern. Nie hat es todesmutigere Heldenkühnheit gegeben, als hier, wo Ney, der Bravste der Braven, zu Fuß an der Spitze der Sturmkolonnen für seine Person zum achten Mal gegen die feindliche Hauptstellung vorbrach. Wiederum wird der Hohlweg nordwestlich la Haye Sainte fast erreicht, da erheben sich plötzlich bisher ungesehen die englischen Gardisten Maitlands und empfangen die schon durch Verluste geschwächten Gardebataillone mit vernichtendem Feuer. "Die Garde geht zurück", dieser Schreckensruf pflanzt sich mit unglaublicher Schnelligkeit durch die ganze Schlachtlinie vom einen bis zum anderen Flügel fort.

Jetzt ist kein Halten mehr. Unaufhaltsam wogt alles zurück und Wellingtons Truppen stürzen auf ein von dem Herzog gegebenes Zeichen ungeordnet, wie sie sind, in Linie, in Kolonne, in Schützenschwärmen hinterher. Nur wenige Truppen sind zu dieser Verfolgung nicht mehr imstande, die deutsch-englische Kavallerie bricht in den Feind und setzt die Verfolgung bis jenseits Belle Alliance fort, von wo aus dieselbe an Blüchers Truppen übergeht. Bis zum letzten Hauch von Roß und Mann fortgesetzt, pflückt sie in wahrstem Sinne die Lorbeeren des Riesenkampfes und vervollständigt dadurch in idealer Weise den Sieg.


Das ist in großen Zügen der Gang dieser Entscheidungsschlacht. Wir kommen nun zur Darstellung des Anteils der Legionstruppen an dem weltgeschichtlich für ewige Zeiten bedeutenden Kampfe.

Vorgreifend sei hier gleich bemerkt, daß eine völlig genaue Darstellung aller Einzelheiten unmöglich ist, wo eine so große Anzahl von Truppen auf einem beschränkten Raum gleichzeitig gefochten hat. Gerade die Fülle der Aussagen von Augenzeugen verwirrt hier die Vorgänge häufig mehr, als sie dieselben klärt. Bekanntlich hat Wellington selbst es für unmöglich erklärt, eine völlig zutreffende Beschreibung von Waterloo zu geben, und eine Schlacht mit einem großen Ball verglichen, von dem die Teilnehmer auch meist nur das wissen, was sie persönlich gesehen und gehört haben. Die größte Schwierigkeit bietet bei jeder Schlachtschilderung immer die Herstellung der richtigen Zusammenhänge in den Begebenheiten nach Zeit und Ort. Gerade hierin finden sich bei Waterloo und besonders beim Anteil der Legionstruppen die größten Schwierigkeiten.

Das auffallendste Beispiel hierfür bietet die unrichtige Wellingtonsche Berichterstattung über den Kampf bei la Haye Sainte.

Die Verteidigung dieses Pachthofes, des Schlüsselpunktes der gesamten Wellingtonschen Stellung, ist der schönste Ruhmeskranz der Legionsgeschichte. Der Herzog behauptet nun in einem Briefe vom 17. August 1815, die deutschen Verteidiger hätten den Pachthof gegen 2 Uhr geräumt. Brialmont, Wellingtons gewissenhafter Biograph, verlegt den Vorgang auf etwa 4 Uhr und fügt bezeichnender Weise hinzu: "Einige Autoren behaupten, die Ferme sei erst gegen 7 Uhr genommen worden, aber sie irren sich." Houssaye hingegen weist in seiner schnell berühmt gewordenen farbenprächtigen Schilderung des Feldzuges von 1815 unwiderlegbar nach, daß der Pachthof erst nach 6 Uhr verloren ging. (Knoop hebt in seinem Buch über Siborne richtig hervor, daß Wellington in seinen Berichten sich häufig schlecht unterrichtet zeige, und erwähnt hierbei die Verteidigung des Pachthofes in folgender Weise: "Die Verteidigung von la Haye Sainte, welche so ausgezeichnet gut gewesen ist, wird von Wellington sehr ungünstig beurteilt, und in seinen Briefen der tapfere Baring beinahe der Pflichtvergessenheit beschuldigt. La Haye Sainte wurde, nach Wellington, schon um 2 Uhr genommen, während im Gegenteil bewiesen ist, daß die Verteidigung dieses Pachthofes bis 6 Uhr oder noch länger gedauert hat.") Oman, der Geschichtsschreiber des Halbinselkrieges, betont in der Cambridge Modern history gleichfalls, daß dies gegen 6½ Uhr geschah.

Wenn solche Irrtümer und Verschiedenheiten sogar bei den Haupt-Brennpunkten des Kampfes möglich sind, so darf es nicht wundernehmen, wenn bei unbedeutenderen Vorgängen die größten Verwechslungen und Täuschungen vorkommen. So wirft Beamish in seiner hauptsächlich auf Zusammentragung einzelner Berichte von Augenzeugen beruhenden Schlacht-Schilderung die einzelnen Momente völlig durcheinander, sodaß ein innerer Zusammenhang - z.B. bei den Neyschen Kavallerie-Attacken - nirgends zu Tage tritt. Eine Kritik der Quellen fehlt gänzlich.

Da auch in Sicharts Geschichte der hannoverschen Armee (5. Band), wo eine klare Gliederung der Schlacht nach Zeitmomenten gegeben ist, einige die Legion betreffende Angaben hinsichtlich ihrer Zeitfolge nicht stichhaltig erschienen (Vorbrechen der Brigade Ompteda zur Verfolgung und Katastrophe des 8. Linienbataillons), so ist in der nachfolgenden Schilderung der Versuch gemacht worden, unter Anlehnung an die vorher gegebenen Schlachtmomente den Anteil der Legionstruppen an der Schlacht in möglichster Treue darzustellen. Überall, wo es nötig erschien, ist auf die Originalquellen zurückgegangen worden, wobei es mitunter nicht leicht war, die große Fülle der sich zudrängenden Einzelheiten in angemessener Weise zurückzuhalten.

Für die Einzelforschung der an der Schlacht beteiligten Truppenteile bleibt immer noch ein weiter Spielraum übrig. Wo dieselbe einzusetzen hat, habe ich mich bestrebt überall anzudeuten.