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Die ruhmvolle Theilnahme zweier kurhannoverscher Regimenter an den schweren Kämpfen, welche England am Ausgang des vorigen Jahrhunderts um die gefährdete Vorherrschaft in Ostindien führte, ist fast vergessen; für die Geschichte jenes Krieges blieb es nebensächlich, daß ein kleiner Theil der englisch-ostindischen Armee aus braunschweig-lüneburgischen Truppen bestand. Ihre hervorragende Tüchtigkeit fand zwar seiner Zeit volle Anerkennung des englischen Oberbefehlshabers; ihre Erfolge traten aber zurück gegen die entscheidenden Siege, welche nach Entlassung der beiden Regimenter in dem wiederausbrechenden Kriege von den Engländern erfochten wurden. Für die hannoversche Spezialgeschichte ist diese ostindische Expedition dennoch denkwürdig und von Bedeutung bis auf unsere Tage.

Die Söhne unserer Heimath folgten bereitwillig der Werbetrommel, um ihrem Thatendrange im fernen Indien, dem weit mehr als jetzt noch von dem Zauber des Unbekannten umwobenen Märchenlande, Genüge zu thun. Sie traten dort wieder in engste Waffenbrüderschaft mit den Kerntruppen Englands, an deren Seite ihre Väter bei Crefeld und Minden die glänzendsten Lorbeern errungen hatten.

Die älteren Offiziere hatten jene Feldzüge gegen Frankreich noch mitgemacht, und waren die Träger des Ruhms eines sechsjährigen fast immer siegreichen Kampfes, in dem die hannoverschen Truppen den Hauptbestandtheil der alliirten Armee unter Herzog Ferdinand von Braunschweig bildeten. — Viele der jüngeren finden wir unter den Veteranen wieder, welche zwei Jahrzehnte später auf der Peninsula die in Deutschland vor Napoleons Macht gesunkenen Fahnen in alter Weise von Sieg zu Sieg führten.

Aus den Offiziercorps der beiden ostindischen Regimenter gingen neun hannoversche Generale hervor. Neben den beiden älteren Generalen von Wangenheim, von denen der eine kurz nach seiner Rückkehr, der andere 1794 im Feldzug in den Niederlanden starb, nennen wir die Generale von Hinüber, Best, Martin, von Honstedt, du Plat, von Arentschildt und Müller.

Oberstlieutenant von Offeney I. blieb bei Hondschooten, Obristlieutenant und Brigade-Commandeur Klingsöhr und Oberstlieutenant Leonhardt fielen in Spanien, Oberstlieutenant Offeneny II., Sohn des erstgenannten, in Portugal Krankheiten zum Opfer.

Die Anführung nur dieser höheren Officiere, welche sich auf der pyrenäischen Halbinsel besonders auszeichneten, genügt, um zu erweisen, daß die vormals ostindischen Regimenter sehr stark in der englisch-deutschen Legion vertreten waren.

Wenn auch von den 170 Officieren, welche nach und nach durch die Reihen der beiden Regimenter gingen, 69 theils den Krankheiten eines fremden Himmelstriches, theils ihren Wunden erlagen, theils vor dem Feinde geblieben oder beim Schiffbruch verunglückt waren und viele andere mit zerrütteter Gesundheit und invalid zurückkehrten, so trat doch alles dies bald in den Hintergrund. Die Leiden Einzelner, alle Entbehrungen, Mühen und Schmerzen wurden vergessen. — Vorherrschend in der Erinnerung blieben von den wechselvollen Erlebnissen der Glanz und Schimmer einer fremden Wunderwelt. Die alten Soldaten erzählten gern von ihren an Abenteuern und Erfolgen aller Art so reichen indischen Dienstjahren.

In einer Zeit, wo die Länder- und Völkerkunde noch nicht wie heute, Allgemeingut war, wo nur Wenige von Indien, vom Naturleben, von der Landschafts- und Farbenpracht der Tropen eine klare Vorstellung hatten, wo man in unserem Lande erst anfing, vereinzelt in Naturalien-Cabinetten ausländische Thiere zu zeigen, mußten die Schilderungen der heimgekehrten Krieger, welche Indien durchzogen hatten und bis in die Paläste der eingeborenen Fürsten gedrungen waren, fabelhafte Wunderbauten gesehen hatten, auf gefahrvollen Jagdzügen mit gezähmten Elephanten dem Königstiger in die Wildniß gefolgt waren und die seltsamsten Raritäten mitgebracht hatten, Staunen und neidische Bewunderung erwecken.

Nicht nur die jungen Officiere, Unterofficiere und Soldaten der hannoverschen Regimenter, sondern auch die ausgedienten Mannschaften, ja, die waffenfähige Jugend in Stadt und Land sehnten sich nach ähnlichen Gefahren, Erlebnissen und Ehren, besonders die Söhne danach, in der Väter Fußstapfen zu treten.

Als dann die unglücklichen Kriegsereignisse der Napoleonischen Zeit über Deutschland hereinbrachen, als das unbesiegte kurhannoversche Heer 1803 aufgelöst ward und Hannover unter der französischen Fremdherrschaft darniederlag, verfluchten die alten Soldaten und die jungen Mannschaften die aufgezwungene thatenlose Ruhe und erwarteten mit Ungeduld den Ruf, unter die Waffen zu treten. Sie folgten in hellen Schaaren der Aufforderung der Werbeofficiere, um unter dem Banner ihres Kurfürsten und Königs als englische Hülfstruppen die verhaßten Franzosen zu bekämpfen.

Die genaue Kenntniß, welche die Officiere und Unterofficiere der vormals ostindischen Regimenter von den englischen Militärverhältnissen hatten, und der Umstand, daß sie geläufig englisch sprachen, ebnete manche Schwierigkeit und half jene alte treue Kameradschaft wieder anbahnen, welche die englischen und deutschen Truppen so fest verband.

Hannoveraner, Braunschweiger und Britten zeigten sich in vielen Schlachten ebenbürtig an zäher Tapferkeit, und endlich waren vor Allen sie es, die in gewohntem heldenmüthigen Wetteifer bei Waterloo Napoleons übermächtige Angriffe zurückwiesen, bis am Abend Blücher mit der preußischen Armee erschien und gemeinsam der Sieg errungen ward, welcher das Schicksal Europas entschied.

Wir sehen so, daß in den sich folgenden Kriegsereignissen eine fortlaufende Kriegsschulung und ein Zusammenhang sich unmittelbar geltend machte, welcher die Officiere, die 1758 und 59 unter Herzog Ferdinand siegten, mit denen verband, welche in den achtziger Jahren unter der glühenden Sonne Indiens und wieder 20 Jahre später auf der Peninsula kämpften, um endlich in den langen Friedenszeiten nach 1815 den vorzüglichen Geist der hannoverschen Armee auf die Generation zu übertragen, welche 1866 die alte Waffenehre hoch hielt.

Die mündliche Ueberlieferung, welche bezüglich der ostindischen Expedition in der hannoverschen Armee nur noch wie eine fast verklungene Sage fortlebte, ward zuerst 1845 wieder erweckt und ergänzt durch E. von dem Knesebecks Geschichte der kurhannoverschen Truppen in Gibraltar, Minorca und Ostindien. Diese verdienstvolle Arbeit hat General von Sichart dem betreffenden Abschnitt seiner 1870 erschienenen Geschichte der Königlich hannoverschen Armee hauptsächlich zu Grunde gelegt. Beide Geschichtswerke und die von beiden Verfassern benutzte "Geschichte der kurbraunschweig-lüneburgischen Truppen" von v. Wissel, welche 1786, also zur Zeit des ostindischen Krieges geschrieben ist, sowie Aufsätze im neuen militärischen Journal von 1790 sind die Quellen nachstehender Skizze.