Arbeitskreis Hannoversche Militärgeschichte -> HOME

 

 

Jäger vom
1. Bataillon 1866

Am 18. November 1851 entschlief König Ernst August, aufrichtig betrauert von seinem Volk und der Armee. Sein einziger Sohn bestieg als Georg V. den hannoverschen Königsthron. Georg war am 27. mai 1819 in Berlin, wo Ernst August damals lebte, geboren. Für die Armee war er mit großem Eifer bemüht, besonders dafür, ihren inneren Wert durch höhere wissenschaftliche und militärische Ausbildung, durch Besserstellung von Offizieren und Unteroffizieren zu heben. Häufiges Zusammenziehen größerer Verbände zu Kriegsübungen bereiteten Führer und Mannschaften auf den Ernstfall vor und erhöhten die Leistungsfähigkeit der Armee. Auch wurden Bewaffnung und ausrüstung vervollkommnet. Großes Interesse zeigte Georg für die Durchführungsbestimmungen der Kriegsverfassung des deutschen Bundes, die zu Änderungen in der Organisation und Stärke der Armee führen mußten.

Georg war ein stolzer, von seiner hohen Stellung durchdrungener Herrscher, ausgerüstet mit unerschütterlichem Vertrauen in die göttliche Lenkung seines Königsamtes. An diesem durfte nicht gerüttelt werden, und diese Ansicht bestimmte sein Tun und seine Politik und war letzten Endes der eigentliche Grund seines tragischen Ausganges. Von seiner königlichen Macht konnte er nichts abgeben; die notwendig im Gefolge der Bismarckschen Bundesreformpläne kommende Einschränkung derselben war ihm unerträglich — "er wollte lieber untergehen, als sich mediatisieren lassen". Ob sein mit klarem Blick und festem Willen in der Wirklichkeit stehender Vater sich und sein Königtum durch den gärenden Schaum einer zu neuer Gestaltung drängenden Zeit hätte hindurchsteuern können, ist fraglich — ein Mann wie Georg konnte das nicht. Gerade deswegen bleibt er in seiner Tragik und Größe eine hinreißende Erscheinung, ein echter König; und wie die Armee, die mit ihm unterging und vorher noch einmal von der Helligkeit des Sieges umleuchtet wurde, im Gedächtnis der Nachwelt steht, so wird auch der von seinem Volk geliebte König Georg unvergessen bleiben. ...

Kurz vor ihrem Untergange wurden 1861 Teile der hannoverschen Armee zur Bundesexekution gegen Dänemark verwandt, und zwar 6 Bataillone, 6 Schwadronen und 16 Geschütze unter dem Generalleutnant Gebser. Die Truppen wurden an der Westküste von Holstein aufgestellt zum Schutz gegen dänische Unternehmungen. An dem glänzenden Feldzuge, den die Preußen und Österreicher führten und der die Befreiung Schleswig-Holsteins von Dänemark zur Folge hatte, waren die hannoverschen Truppen leider nicht beteiligt.

Und schon nach 2 Jahren standen die hier Schulter an Schulter kämpfenden Deutschen sich feindlich gegenüber. Als der unselige Bruderkrieg ausbrach, sah sich König Georg V. veranlaßt, auf die preußischen Vorschläge hinsichtlich der Bundesreform, der Parlamentsberufung und des Neutralitätsvertrages nicht eingehen zu können, was die Kriegserklärung Preußens zur Folge hatte. ... Der König befahl am Nachmittage des 15. Juni die Versammlung der Armee bei Göttingen. An eine planmäßige Mobilmachung war angesichts der Nähe des Feindes nicht zu denken. Bei Harburg setzte der preußische Generalleutnant von Manteuffel schon vor ausgesprochener Kriegserklärung mit seiner Division über die Elbe, bei Minden stand der General Vogel von Falkenstein mit dem 7. Armeekorps. Überall war die Grenze nah und der übermächtige Feind zum Angriff bereit. Die Hälfte aller hannoverschen Truppen befand sich außerhalb ihrer Garnisonen und die Regimenter mußten, wie sie waren, nach Süden abrücken. Da ist es bewundernswert, wie mit einer Fülle von Willenskraft und Hingabe alle Truppenteile dem Rufe ihres Königs folgend, mit Zuhilfenahme aller irgend verwendbaren Transportmittel es fertig brachten, nach Göttingen durchzukommen.

Attacke der Schwadron v. Einem bei Langensalza

Das königliche Hauptquartier traf am 16. Juni früh in Göttingen ein, und hier ernannte der König den Generalmajor von Arentsschildt unter Übergehung sämtlicher Generalleutnants zum Kommandierenden General der Armee unter gleichzeitiger Beförderung zum Generalleutnant. Oberst Cordemann wurde zum Chef des Generalstabs und Oberst Dammers zum General-Adjutanten ernannt. Die Armee wurde in 4 gemischte Brigaden v.d. Knesebeck, de Vaux, von Bülow-Stolle, von Bothmer und die Reserve-Kavallerie-Brigade von Geyso eingeteilt. In den wenigen Tagen, an denen man vom Feinde noch nicht belästigt zu werden hoffen konnte, wurde die Armee so operationsfähig wie möglich gemacht. Munitionsvorräte waren nach Göttingen gerettet, mit denen die Infanterie ihre Taschenmunition vervollständigen konnte. Bei Beginn der Bewegungen war die Infanterie etwa 15 000 Mann stark. Die Artillerie hatte die größte Mühe gehabt, die Geschütze zu transportieren, hatte aber doch 8 Batterien mit 42 Geschützen verwendungsfähig machen können.

Angesichts der drohenden Einkreisung durch die preußischen Heeresteile, die von Norden, Westen und Süden heranrückten, beschloß der König, seine Armee mit den süddeutschen Truppen zu vereinigen und sich zu diesem Zwecke nötigenfalls durchzuschlagen. Am 21. Juni brach die Armee auf nach Süden und vollzog ihren Marsch über Heiligenstadt und Mühlhausen nach Langensalza. Der blinde König mit seinem Sohn und Kronprinzen ritt inmitten seiner braven Truppen aus dem Reich hinaus, um es nicht wieder zu betreten, treu begrüßt von vielen Landleuten, die ihren geliebten König zum letzten Male sahen. Vom Feinde blieb die Armee fast unbehelligt, und selbst die preußische Division Beyer erreichte es von Cassel aus nicht, den Hannoveranern schon vor Langensalza den Weg zu verlegen. Aber vom großen Hauptquartier in Berlin aus wurden mit Anwendung von Bahntransporten Truppen in die Gegend von Gotha und Eisenach vorgeschoben, um einen Abmarsch nach Süden seitens der Hannoveraner zu verhindern. Und doch wäre der Durchbruch bei Eisenach am 24. vielleicht möglich gewesen, wenn man sich beim König zu dem Entschluß hätte durchringen können. Nach Ablauf eines Waffenstillstandes, während dem eine vom König von Preußen an den König Georg gerichtete Aufforderung zur Annahme der füheren Neutralitätsbedingungen von diesem abgewiesen war, zog sich die hannoversche Armee hinter die Unstrut zurück und besetzte eine Stellung, in der sie den preußischen Angriff abwehren wollte.

Die Stellung befand sich Langensalza gegenüber auf dem linken Ufer der Unstrut von Thamsbrück über Merxleben bis Nägelstedt. ... In dieser Stellung kämpfte die hannoversche Armee am 27. Juni ihren letzten siegreichen Kampf, dessen Ruhm nur durch das Bewußtsein verdunkelt wird, daß sich hier Deutsche gegenüberstanden. Die hannoversche Armee zeigte sich ihrer ruhmreichen Überlieferung wert. Die Verteidigung der Unstrut bei Merxleben durch Brigade de Vaux und das Garde-Regiment, der kühne gemeinsame Angriff der Brigaden Bülow, Knesebeck und de Vaux, letzterer selbst an der Spitze seiner Truppen, das selbsttätige Verhalten der 3. Jäger an der Unstrut und vor dem Badewäldchen, das sind Taten, die den Vergleich mit Waterloo nicht zu scheuen brauchen. Oberstleutnant von Lösecke vom 7. Regiment starb den Heldentod vor seinen Truppen. Trotz des überlegenen Feuers der preußischen Zündnadelgewehre stürmen die braven Bataillone während des gemeinsamen Angriffs mit unwiderstehlichem Drang und dem alten Ruf man to, man to! vorwärts und nehmen die alte Brücke, die zäh verteidigte Mühle und das Bad. Trotz furchtbarer Verluste in ungedeckter Stellung hält die Artillerie auf dem Kirchberg aus. Batterie Müller beschießt die preußische Artillerie auf dem Jüdenhügel mit solchem Erfolg, daß eine der feindlichen Batterien aufprotzt und weiter rückwärts Stellung suchen muß. Beim Rückzug des Feindes unternahmen die hannoverschen Kavallerie-Regimenter glänzende Attacken, besonders die Cambridge-Dragoner, die Garde du Corps und die Garde-Kürassiere erringen ewige aber blutige Lorbeeren. Die Namen von Einem, Graf Wedel, von Hammerstein, Meier, v. Stolzenberg, Wolters, von Schnehen, Poten, deren Träger als kühne Führer ihrer Schwadronen den Heldentod erlitten oder verwundet vom Pferde sanken, werden uns ebenso unvergeßlich bleiben wie der des Fechtmeisters Bode, der mit der Standarte der Gardekürassiere in das feindliche Karree sprengte und sich nach wütendem Kampf, die Standarte in der Faust, wieder hinausrettete. Aber ebenso hoher Ruhm wie den angreifenden Verfolgern gebührt den unerschütterlich straff zurückgehenden preußischen Karrees von Rosenberg und des Barres.

Um 5½ Uhr wurden dem abziehenden Feinde Truppenteile zur Verfolgung nachgesandt, das blutige Gefecht war beendet. Aber die hohe Tapferkeit der Truppen des Generals von Flies hatten der hannoverschen Armee den Sieg nicht leicht gemacht. Das Zündnadelgewehr zeigte seine große Überlegenheit gegenüber dem Vorderlader, denn die Verluste der Hannoveraner waren fast doppelt so groß wie die auf preußischer Seite. Die Hannoveraner verloren 32 Offiziere und 346 Mann an Toten und 70 Offiziere und 981 Mann an Verwundeten.

So endete der letzte Waffengang des hannoverschen Heeres. Im Tale der Unstrut bei Langensalza hatten vor hundert Jahren im siebenjährigen Kriege hannoversche und preußische Truppen vereint gegen Franzosen und Sachsen gefochten und glänzend gesiegt, jetzt waren sie sich feindlich gegenüber getreten.

Die Armee wr nach der Schlacht von Munition und Vorräten entblößt, eine Verpflegung angesichts der immer näher heranrückenden preußischen Umstellung ganz unmöglich, der Plan des Königs, jetzt unter Ausnutzung des Waffenerfolges nach Süden durchzubrechen, daher unausführbar. Auf ihren Eid hin konnten die Generale ihrem Kriegsherrn die Lage so vorstellen, wie sie war, und als einzige Möglichkeit das Anerbieten einer Kapitulation vorschlagen. Schweren Herzens fügte sich der König, und die Folge war die 3 Tage später abgeschlossene Kapitulation, nach der die Truppen entwaffnet und mit dem Versprechen nicht gegen Preußen zu kämpfen, in die Heimat zurückgeführt, die Offiziere mit demselben ehrenwörtlichen Versprechen entlassen wurden, ihre Waffen dagegen behielten. Der König mit dem Kronprinzen begab sich zunächst zu seinem Schwiegervater, dem Herzog von Altenburg, dann nach Wien.

Der Monarch war groß in seinem Unglück, voll Dank gegen seine brave Armee und seine Offiziere und trat nach würdigem Abschied von den Truppen den Weg in das Exil an. Wohl kein schwereres Schicksal gibt es für eine Armee, wenige Tage nach dem Siege demselben Gegner gegenüber die Waffen strecken zu sollen. Indem die Armee dieses schwere Gebot ohne Ausschreitungen in tiefster Trauer aber mit mutiger Fassung erfüllte, zeigte sie auch hierin zum letzten Male ihren hohen inneren Wert und ihre straffe Manneszucht. Die hannoversche Armee wurde aufgelöst und ging mit dem durch Preußen annektierten Königreich Hannover als solche unter. Die volle Anerkennung ihrer soldatischen Tugenden blieb ihr aber nicht versagt, und daß sie derselben würdig war, haben ihre Glieder wenige Jahre später, als preußische Truppenteile, im Kampf gegen den Erbfeind vollauf bewiesen.

Damit ist die Geschichte der hannoverschen Armee zu Ende. Aber ihr ruhmreiches Andenken wird im Lande Hannover unvergeßlich bleiben, sind doch unser aller Namen mehr oder weniger mit der Armee verknüpft.

Daß im ganzen deutschen Heere und Volke die Erinnerung an die Ruhmestage der hannoverschen Armee nicht untergehen sollten, dafür sorgte eine Verfügung des deutschen Kaisers Wilhelm II., die Überlieferungen dieser Armee von den hannoverschen Truppenteilen der preußischen Armee pflegen und sie deren Erinnerungszeichen tragen zu lassen.