Arbeitskreis Hannoversche Militärgeschichte -> HOME

 

 

 

Major im 2. leichten Bataillon
Georg Freiherr von Baring

Wir hatten Baring in dem Augenblick verlassen, wo nach dem Zurückschlagen des Angriffs der Brigade Quiot gegen das westliche Scheunentor die Munition knapp zu werden anfing. Nach einander wurden 2 Offiziere zum Oberst v. Ompteda mit der Bitte um Ersatz der Munition zurückgeschickt; Ompteda vermochte aber diesem Wunsche nicht nachzukommen, da keine Büchsenmunition vorhanden war. Ein damit beladener Wagen war auf der Brüsseler Straße in der allgemeinen Verwirrung liegen geblieben, andere Büchsenpatronen waren nicht vorhanden.

Um der bedrängten Lage Barings einigermaßen abzuhelfen, sandte Ompteda die Schützenkompanie des 5. Linienbataillons nach dem Pachthofe. Dies muß noch etwas vor Neys 1. Kavallerieattacke, also gegen 4 Uhr gewesen sein. Quiots Schützen nahmen die herannahende Verstärkung, die auch durch das französische Geschützfeuer zu leiden hatte, unter verheerendes Feuer; noch ehe die Kompanie den Pachthof erreichte, wurde ihr Hauptmann Kapitän v. Wurmb durch einen Schuß in den Kopf und 14 Mann getötet. Den Rest der Leute bestimmte Baring zur Besetzung des Hofinneren, zu gleichem Zwecke eine bald nachher eintreffende Verstärkung von 200 Nassauern.

Alsbald nahm der Kampf einen noch erbitterteren Charakter an. In ohnmächtiger Wut, an dem Eindringen in das offene westliche Scheunentor verhindert zu sein, steckten die Franzosen nun die Scheune in Brand. Nicht lange, und dunkle Rauchwolken schlugen aus dem Scheunendach hervor. Zum Glück verfiel Baring auf den rettenden Gedanken, die großen Feldkessel der eben eingetroffenen Nassauer zum Herbeischaffen von Wasser verwenden zu lassen. Die Leute kletterten auf das Dach und löschten das Feuer, während andere von oben herunter schossen. Mancher brave Soldat fand hierbei seinen Tod. (Dieser spannende Augenblick der Verteidigung ist auf Northens bekanntem Bild im Historischen Museum zu Hannover zur Darstellung gebracht. Siehe Anhang – Georg Baring: Erzählung der Teilnahme des 2. leichten Bataillons der Kgl. Deutschen Legion an der Schlacht von Waterloo.)

Bis gegen ½ 6 Uhr etwa dauerte der erbitterte, hartnäckige Kampf, in welchem Barings Kämpfer den höchsten Heldenmut betätigten. Ungeachtet der Zahl der Leichen, die sich im Innern des Hofes anhäuften, blieb die Haltung der Leute unerschüttert. Mit der größten Kaltblütigkeit wurden die durch das jetzt auch auf la Haye Sainte gerichtete Geschützfeuer entstandenen Löcher in den Mauern wieder geschlossen, aber nur sparsam erfolgten die Schüsse, fast jeder den Tod eines Franzosen bezeichnend. Erst nachdem die großen Kavallerieattacken gegen ½ 6 Uhr abgeschlagen waren, zogen sich auch die Angreifer von la Haye Sainte vorübergehend zurück.

Jetzt erst erinnerte sich Marschall Ney dessen, daß er seine Infanterie zur Unterstützung der Reiterei hätte verwenden sollen. Zu spät setzte er die Division Bachelu und die Brigade Jannin ein. Unter wirksamem Massenfeuer der gesamten Linie der Verbündeten rücken diese noch frischen Truppen bis auf Pistolenschußweite an die feindliche Stellung am Hohlweg heran, dann erfolgt der Gegenstoß der Verbündeten - bei Hougoumont, wie schon erwähnt, durch die Legionsbrigade du Plat, wobei deren Führer fiel, weiter östlich durch die hannoversche Brigade H. Halkett - und alles muß zurück. Die Reste der französischen Kavallerie decken den Rückzug.

Der vierte Hauptakt des Kampfes beginnt. Napoleon gibt gegen 6 Uhr Ney den Befehl, sich um jeden Preis des Pachthofes la Haye Sainte zu bemächtigen. Ney nimmt von der Division Donzelot das 13. leichte Infanterie-Regiment und eine Abteilung des 1. Genie-Regiments und wirft sie gegen das Gehöft vor. Da der dort herrschende Patronenmangel zu sparsamstem Munitionsverbrauch zwingt, so gelingt es den Franzosen, bis unmittelbar an die Mauern heranzukommen. Aufs Neue entspinnt sich der nervenverzehrende Kampf, wobei die Angreifer von außen die Gewehre zu erfassen suchen und nunmehr hauptsächlich das östliche große Haupttor an der Brüsseler Straße erzwingen wollen. "Aber in einem Augenblick stürzten 70 Franzosen am Fuße der östlichen Mauer tot darnieder." Aufs Neue warf man Feuer in die Scheune, aufs Neue wurde es unter Todesverachtung gelöscht. Aber schon ertönten im Innern des Hofes Rufe nach Munition.

Barings Not stieg auf Höchste. Er hatte für den Mann nur noch 3 - 4 Patronen. Nochmals schickte er eine Meldung zur Hauptstellung zurück, mit der gemessenen Angabe, daß er den Posten verlassen müsse und werde, wenn er nicht Munition erhalte. Die Franzosen erkletterten über die Leichen ihrer Kameraden hinweg die Mauern und beschossen von oben das immer mehr zusammenschmelzende Häuflein der Deutschen.

Jetzt gelang es ihnen auch, das bisher verschlossene große Hoftor an der Brüsseler Straße zu erbrechen. Der Genie-Leutnant Vieux (Fiel 1837 als Oberst auf der Bresche von Constantine.) führte die ersten Schläge mit einem Beil gegen dasselbe. Schwere Verwundung ließ das Beil seiner Hand entsinken, es ging darauf von Hand zu Hand, bis schließlich die Tür nachgab und die ersten Franzosen auf den Hof stürzten. Nur langsam wagte man einzudringen, denn die ersten Kühnen lagen sofort erstochen am Boden.

Inzwischen war auch über Hügel von Leichen hinweg der offene Scheuneneingang an der Westseite und die nach dem Hofe zu führende östliche Scheunentür freigemacht. Auch hier erfolgte das Eindringen der Franzosen nur langsam und vorsichtig.

Baring sah ein, daß der Pachthof nicht mehr zu halten sei. Schweren Herzens gab er den Befehl, sich durch das Wohnhaus nach dem Gemüsegarten zurückzuziehen. 3 Offiziere, die Leutnants Carey und Graeme, sowie der Fähnrich Frank, dieselben, welche schon beim ersten Ansturm der Brigade Quiot die Baulichkeiten so tapfer verteidigt hatten, sollten das Wohnhaus zunächst noch zu halten versuchen. Baring leitete den Rückzug seines Häufleins von dem Gemüsegarten nach der Hauptstellung, und wurde hierbei von den ihres Erfolges frohen Franzosen nicht mehr gestört.

Mit um so größerer Wut stürzten sich die infolge des langen verlustreichen Ringens bis zur Raserei erhitzten Franzosen auf die letzten Verteidiger des Wohnhauses. Noch heute zeigen die Wände und Türen des engen Durchganges die Kugelspuren des erbitterten Kampfes, der in demselben stattgefunden hat.

Nebst einigen ihrer Leute waren die Leutnants Carey, Graeme und Fähnrich Frank die letzten, welche mit gezogenem Säbel den Türeingang verteidigten und Schritt für Schritt fechtend zurückwichen. Die Franzosen schossen und stachen in den Gang hinein und machten jeden nieder, den sie einholten. "Keinen Pardon diesen grünen Schurken," riefen sie, indem sie auf den Fähnrich Frank eindrangen. Mit gewandten Hieben verteidigte sich dieser heldenmütige Jüngling, stach von 2 ihn verfolgenden Franzosen den einen gerade in dem Augenblick nieder, als er den Leutnant Graeme niederschießen wollte, und war bereits bis zur Mitte des Durchganges gekommen, als er einen Schuß erhielt, der ihm den rechten Arm nahe dem Handgelenk zerschmetterte. Fast unfähig zu weiterem Widerstande erhielt er gleich darauf einen weiteren Schuß mitten durch die Brust, taumelte zurück und stürzte in einem letzten Aufblitzen seiner Besinnung in einem unmittelbar seitwärts des Durchganges gelegenen gerade offen stehenden Zimmer vor einem Bette wie tot zusammen. Zwei deutsche Schützen wollten sich in denselben Raum retten, wurden aber von den Franzosen, die ihnen nachdrängten, niedergeschossen.

Frank galt für tot und blieb unbeachtet liegen. So wurde er auch nach der Wiedereinnahme des Pachthofes am Abend mit zu den Toten gelegt. In der Absicht, den Leichnam noch etwas vom Blute zu reinigen, brachte ihn sein Bursche unter eine Wasserpumpe und entdeckte dabei, daß noch Leben im Körper sei. Durch die sorgfältige Pflege einer Brüsseler Dame wurde Frank am Leben erhalten. (Frank trat nach Auflösung der Legion 1816 in das hannoversche Garde-Jäger-Regiment über, nahm aber nach einigen Jahren als Kapitän seinen Abschied und widmete sich dem juristischen Studium. Er starb 1857 als Amtmann zu Linden.)

Baring brachte von seinem eigenen Bataillon nur 42 Mann nach der Hauptstellung mit zurück; mit diesen und den Leuten des 1. leichten Bataillons schloß er sich an das gerade hinter dem Pachthofe stehende 1. leichte Bataillon an, welches unter Oberstleutnant L. v.d. Bussche den Hohlweg nahe der einzelnen Ulme besetzt hatte. Die schwachen Überreste der Nassauer und der Kompanie vom 5. Linienbataillon entließ er zu ihren Truppenteilen.

Gegen 6½ Uhr waren die Franzosen Herren des so lange vergeblich bestürmten Bollwerks. (Die beiden neuesten englischen Schilderungen der Schlacht bestätigen die oben gegebene Darstellung und betonen, daß la Haye Sainte erst gegen 6½ Uhr in die Hand des Feindes fiel.)

Hiermit endete die heldenmütige Verteidigung des Pachthofes von la Haye Sainte durch deutsche Schützen, eines der hervorragendsten Beispiele deutscher Soldatentüchtigkeit. Von ½ 2 bis 6 Uhr haben hier unter den schwierigsten Verhältnissen und unter den Augen der beiden ersten Feldherren ihrer Zeit deutsche Soldaten den gefährlichsten und wichtigsten Posten in der ganzen Schlachtlinie behauptet; eine kleine Besatzung hat den Befehlen des keine Hindernisse kennenden Korsen stundenlang eine unüberwindliche Grenze entgegengesetzt. Alle Berichte über den Feldzug 1815 sind in der Anerkennung dieser Heldentat der Legion einig.

"La Haye Sainte; das schönste Blatt in dem an diesem Tage um ihre Fahnen gewundenen Ehrenkranze", heißt es in dem Kaiserlichen Erlaß vom 19. Dezember 1903, "wird für alle Zeiten ein Vorbild sein aufopfernden Heldenmutes und unerschütterlichen Ausharrens bis zum Tode."

Die Verteidigung des Pachthofes ist lediglich durch Deutsche erfolgt. Neben den Schützen der Deutschen Legion bewährten sich hier die Nassauer in blutigem Kampfe. Von deutschen Legionsoffizieren waren an demselben beteiligt:

vom 2. leichten Bataillon: die Majore Baring, Bösewiel (gefallen); die Kapitäns Holtzermann (gefangen), Schaumann (gefallen); die Leutnants F. Keßler (verwundet), C. Meyer, O. Lindam (verwundet), Riefkugel (verwundet), A. Jobin (gefangen), Carey (verwundet), E. Biedermann, Graeme (verwundet), Earl; die Fähnriche v. Robertson (gefallen), Frank (verwundet), W. Smith, L. Baring, Adjutant Timmann (verwundet); Oberwundarzt G. Heise; zusammen 19 Offiziere;

vom 1. leichten Bataillon: die Kapitäns v. Gilsa (verwundet) und v. Marschalck (gefallen), Leutnant Baumgarten und Fähnrich J. Kuntze;

von den Scharfschützen des 5. Linienbataillons: Kapitän v. Wurmb (gefallen), die Leutnants C. v. Witte und C. Schläger, Fähnrich C.H. Walther.