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Meierei La Belle Alliance

Wellington selbst hatte sein Hauptquartier während der Nacht in Genappe. Er konnte von Glück sagen, daß ihm die Vereinigung seiner Truppen im Angesicht des Feindes geglückt und daß die wichtige Stellung von Quatrebras behauptet worden war.

Zu seinen Truppen vorgeritten, erfuhr er um 7 Uhr Vormittags, daß Blücher bei Ligny geschlagen und zum Rückzuge auf Wavre genötigt sei, zugleich aber auch, daß eine kräftige Verfolgung durch die Franzosen nicht stattgefunden habe. (Blücher an den König; Wavre, 17. Juni 1815: "Nach dieser treuen Schilderung werden Euer Majestät allergnädigst ersehen, daß ohnerachtet des nicht glücklichen Ausganges der gestrigen Schlacht die allgemeinen Verhältnisse hier nicht nachteilig stehen und daß Bonaparte durch diesen Sieg wenig gewonnen hat.") Er entschloß sich daher, in eine Höhe mit den Preußen auf Mont St. Jean zurückzugehen und hier den Angriff der Franzosen in starker Stellung südlich Brüssel zu erwarten, vorausgesetzt, daß Blücher ihn unterstützen würde.

Der Rückmarsch begann unter dem Schutz einer starken Nachhut - Division Alten - und der gesamten Reiterei des Lord Uxbridge um 10 Uhr Vormittags mit der Hauptkolonne von Quatrebras auf der großen Straße nach Brüssel, mit den bei Nivelles versammelten Truppen unmittelbar von dort auf Mont St. Jean. Wellingtons Besorgnis, der Feind könne ihn ungeachtet der schlechten Wege über Hal umgehen und das so überaus wichtige Brüssel bedrohen, veranlaßte ihn, den Prinzen Friedrich der Niederlande mit der 1. niederländischen Division, der Brigade Anthing und Estorffs hannoverschen Husaren dorthin zu entsenden und auch während der Schlacht am 18. dort stehen zu lassen. Fielen hiermit auch 17.000 Mann für die Entscheidung aus, so muß man doch bedenken, daß Napoleon allerdings auf die Wegnahme Brüssels, dieses Sitzes vieler politisch unzuverlässigen Elemente, damals wie heute ein kleines Paris, den größten Wert gelegt hat, wie aus seinen im Voraus gedruckten und von Brüssel datierten Proklamationen hervorgeht.

Für den Fall, daß Brüssel vorübergehend aufgegeben werden müsse, ließ Wellington schleunigst Antwerpen in Verteidigungsbereitschaft setzen und den in Gent befindlichen König Ludwig XVIII. ersuchen, sofort dorthin abzureisen, wenn er bestimmte Nachricht von der Besetzung Brüssels durch die Franzosen erhalte. "Ich hoffe, oder vielmehr ich habe alle Veranlassung zu glauben," so schrieb er an Berry, "daß alles gut gehen wird, aber man muß an alles denken."

Die Franzosen störten den Rückmarsch von Quatrebras anfangs gar nicht, drängten aber in den Nachmittagsstunden, als nach dem Ausbruch eines furchtbaren Unwetters Napoleon bei den Truppen eingetroffen war, schärfer nach, so daß es bei Genappe zu verschiedenen Zusammenstößen zwischen den feindlichen Reitermassen kam. Auch die leichten Dragoner-Regimenter der Legion und die deutschen Husaren der Brigade Vivian kamen hierbei ins Gefecht. Die Dragoner erlitten einige Verluste. (Lord Uxbridge hatte drei Kolonnen gebildet, rechter Flügel Brigaden Dörnberg und Grant, in der Mitte Ponsonby und Somerset, links Vandeleur und Vivian.)

Die Legionsbrigade Ompteda bildete während des Rückmarsches über Genappe die rechte Seitendeckung und fädelte sich nördlich Genappe wieder in die Marschkolonne der Arrieregarde ein.

Die Verfolgung wurde vom Kaiser Napoleon persönlich geleitet. "Schießt, schießt, es sind Engländer", rief er in höchster Erregung den Kanonieren seiner reitenden Artillerie zu. Sein grauer Überrock war durch den scharfen Ritt - seit Quatrebras dauernd Galopp - zerrissen. Das Wasser rieselte auf seine Stiefel hinab, die Hutagraffe war zerbrochen, so daß die Federn in der Luft umherflatterten.

Nach französischen Berichten muß die Verfolgung ein sehr lebhaftes Tempo erreicht haben. Sie bot das Bild einer Fuchsjagd, meint Houssaye; unter Donner und Blitz und bei strömendem Regen jagten Freund und Feind auf Genappe zu. Dort brachte ein prächtiger Angriff der englischen schweren Reiter, Ponsonby und Somerset, Life guards an der Spitze, die Verfolgung zum Stehen und ungeachtet der nervösen Hast des Kaisers ging jenseits Genappe der Marsch bedeutend langsamer vor sich. Unter den strömenden Regengüssen verwandelten sich die Felder in einen zähen Lehm, die Pferde sanken bis an die Knie ein, die Straßen waren bald derart verschlammt, daß die Infanterie und Artillerie gleichfalls nur mit der größten Mühe darauf fortkamen.

Gegen 6½ Uhr erreichte der Kaiser mit der Spitze der verfolgenden Truppen das kleine Gasthaus Belle Alliance, ein armseliges Bauwerk, welches seinen klangvollen Namen erhalten haben soll, um die Heirat des ersten Besitzers, eines häßlichen alten Mannes, mit einer hübschen jungen Bäuerin ironisch zu verewigen. Wellingtons Armee hatte die gegenüberliegenden Höhen von Mont St. Jean bereits erstiegen, die Nachhut zog sich gerade durch den zwischenliegenden Talgrund an dieselbe heran. Ein Versuch französischer Husaren, über Belle Alliance hinaus die Verfolgung fortzusetzen, wurde durch einige wirksame Schüsse einer östlich vom Pachthof la Haye Sainte aufgefahrenen anglischen Batterie und der Fußbatterie Cleeves abgewiesen. Infanteriespitzen, welche über Belle Alliance vorzugehen drohten, wurden gleichfalls unter Feuer genommen, wobei auch die reitende Legionsbatterie Kuhlmann mitwirkte.

Es war augenscheinlich, daß Wellington nicht weiter zurückzugehen beabsichtigte. Napoleon ließ daher 4 reitende Batterien, welche das Feuer bereits aufgenommen hatten, wieder aufprotzen, zog die zur Attacke schon aufmarschierten Kürassiere Milhauds aus des Feuer und befahl den Aufmarsch seiner Armee rechts und links der Straße Quatrebras-Brüssel.

Darauf trat alsbald völlige Ruhe ein. Freund und Feind stellten Vorposten aus und suchten sich auf dem durchweichten Boden für die Nacht einzurichten, so gut es eben ging. Wellingtons Armee biwakierte südlich des Waldes von Soignes rechts und links der großen Brüsseler Straße; der Herzog selbst begab sich nach dem 4 km rückwärts gelegenen Waterloo, wo er um 2 Uhr Morgens Blüchers Mitteilung erhielt, daß jener ihn mit den Korps Bülow und Pirch unterstützen werde und daß die beiden anderen Korps nachrücken sollten. Damit wurde Wellingtons Entschluß zur Annahme der Schlacht bei Mont St. Jean unwiderruflich.

Napoleon verbrachte die Nacht in dem kleinen Pachthof le Caillou, 2.700 Meter südlich Belle Alliance. Die Besorgnis, Wellington könne in der Nacht aufbrechen und zur Vereinigung mit den Preußen abmarschieren, ließ ihn nicht schlafen. Um 1 Uhr morgens besichtigte er, nur von Bertrand begleitet, die Vorposten. Deutlich leuchteten trotz des starken Regens durch den nebligen Flimmer unzählige Wachtfeuer vom Walde von Soignes herüber, ein Beweis, daß Wellington nicht an Aufbruch denke. Im feindlichen Lager, das nur eine Kanonenschußweite entfernt schien, war alles ruhig, Napoleon kehrte nach le Caillou zurück.

Hier empfing er gegen 2 Uhr die verhängnisvolle Meldung von Grouchy, daß er Blüchers Abmarsch in 2 Kolonnen auf Lüttich und auf Wavre festgestellt habe und dafür sorgen würde, daß die Preußen von Wellington getrennt gehalten würden. Hiermit wäre Grouchys Auftrag in idealer Weise gelöst gewesen; der Kaiser hielt es nicht für nötig, ihm noch weitere Befehle zuzusenden. Zu gleicher Stunde, wo Wellington seinen Entschluß faßte, tat dies auch Napoleon. Am kommenden Morgen, einem Sonntage, sollte die blutige Entscheidung fallen, die Napoleon Krone und Freiheit kostete und den Geschicken Europas auf Jahrzehnte hinaus eine völlig neue Richtung gab.

Die Truppen lagen indessen bei strömendem Regen frierend und hungernd auf den Feldern. War es mit der Verpflegung bei den Verbündeten im allgemeinen etwas besser bestellt als bei den Franzosen, so hat es doch auch bei ihnen ganze Truppenteile gegeben, die nicht das Geringste zu essen bekamen. Bei den jungen hannoverschen Truppenteilen erzeugten die Unannehmlichkeiten dieser Biwaksnacht eine solche Abstumpfung und Gleichgültigkeit, daß die Kampfesstimmung dadurch recht herabgedrückt wurde.

Bei der Legion war man abgehärteter. Die Soldaten, "gewohnt an jede Temperatur des wetterwendischen Glücks", schliefen trotz des herabströmenden Regens und der erregten Gedanken am Vorabend dieser Entscheidungsschlacht ziemlich ruhig und erwachten halb erstarrt am nächsten Morgen in einem breiartigen Lehm. Von den wogenden Getreidefeldern des vorigen Tages war nichts mehr zu bemerken. Die Benutzung der Schlafdecken war den Truppen auf höheren Befehl untersagt, da man einen nächtlichen Überfall befürchtete.

Zu den wenigen Bevorzugten, die in dieser Nacht unter Dach und Fach kamen, gehörte das 2. leichte Bataillon der deutschen Legion. Diesem war der Pachthof la Haye Sainte zur Besetzung angewiesen worden, wo in einem Zimmer Oberst v. Ompteda, der Kommandeur der 2. Legions-Brigade, Oberstleutnant L. v.d. Bussche, der Kommandeur des 1. leichten Bataillons, Major H. v.d. Bussche von demselben Bataillon, Major Baring, der Kommandeur des zweiten, Brigademajor Kapitän v. Einem und Leutnant v. Brandis, Omptedas Adjutant, einen Teil der Nacht vor der Schlacht verbrachten (Ompteda verbrachte den Rest der Nacht mit seinem Stabe am Biwaksfeuer seines 5. Bataillons.).

An Verteidigungseinrichtungen konnten im Pachthof nur ganz unbedeutende getroffen werden, da es an Handwerkszeug fehlte und die Zimmerleute des 2. Bataillons nach Schloß Hougoumont abgegeben werden mußten. Die Leute legten sich daher bei Zeiten zur Ruhe. Der nächste Tag brachte ihnen nach dem besseren Nachtquartier den schwersten Kampfauftrag in der Schlachtlinie. 24 Stunden später gehörte von den erwähnten 6 Offizieren Oberst v. Ompteda nicht mehr zu den Lebenden, Major v.d. Bussche hatte nur noch einen Arm, Kapitän v. Einem war schwer verwundet.

Während bei Belle Alliance immer neue mühsam unterhaltene Biwaksfeuer aufschimmerten und die Ankunft neuer Truppenteile aus der Tiefe der Marschkolonne anzeigten, herrschte bis zum Morgengrauen des regentrüben Tages in der ausgedehnten Stellung der Verbündeten bei Mont St. Jean tiefste Stille.