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Vorwort der Redaktion des hannov. milit. Journals:

Der Herr Oberst und Brigade-Kommandeur Georg Baring befehligte in den Tagen von Quatrebras und Waterloo als Major das 2. leichte Bataillon der Königlich Deutschen Legion. Auf den Wunsch der Redaktion hat derselbe seine Einwilligung gütigst erteilt, daß die nachstehende Geschichtserzählung, welche er wenige Wochen nach jenen denkwürdigen Tagen als Privatmitteilung niederschrieb, jetzt einem größeren Publikum bekannt werden dürfe. Es ist daher die ganz schmucklose und einfache Sprache des Originales unverändert beibehalten, indem solche Taten keine Auszierung der Rede bedürfen werden. Der Herr Oberst hat noch ausdrücklich gewünscht, daß der Leser aufmerksam darauf gemacht würde, wie es aus diesem Grunde unvermeidlich sei, daß er von sich und von seinen Anordnungen in der ersten Person habe sprechen müssen. Die Redaktion zog es vor, lieber die Originalität des Aufsatzes beizubehalten, als durch eine veränderte Wortfassung diesem bescheidenen Wunsche des Herrn Verfassers vorzubauen.

La Haye Sainte

Schon war die Erwartung der Truppen durch die Rückkehr Napoleons von Elba und die dadurch herbeigeführten Bewegungen in Frankreich auf einen hohen Grad gespannt, als eine Order mit Tagesanbruch des 16. Junius 1815 die Bataillone der 3. Division unter dem Kommando des Generals Carl v. Alten aus ihren Quartieren bei Escouffines zusammenrief, von wo sie nach dem Vereinigungsorte Braine le Comte marschierten, um sogleich nach Nivelle aufzubrechen. – Die englische und hannoversche Brigade marschierte von da nach Quatrebras, unsere aber, die zweite der Deutschen Legion, rückte unter dem Obersten von Ompteda eine Stunde weit auf der Chaussee nach Mons hinaus und nahm dort Position. Am Nachmittage hörten wir das heftige Feuer zur linken, ohne zu wissen, was es eigentlich war. Ehe wir noch den Ausgang erfuhren, rief uns eine Ordre am Abend zur Division nach Quatrebras, wo wir Nachts 12 Uhr eintrafen, und sahen uns mit dem anbrechenden Morgen dem Feinde gegenüber auf dem Schlachtfelde des vorigen Tages.

Einzelne Schüsse der Vorposten bezeichneten den beginnenden Tag des 17. Junius, übrigens waren beide Armeen dem Anscheine nach ruhig und wir erwarteten jeden Augenblick die Ordre zum Angriffe. Gegen 7 Uhr Morgens wurde ich zum General Alten gerufen und erfuhr, daß die uns links stehende preußische Armee am Abend zuvor geschlagen sei, und wir uns in Folge dessen sogleich auf Genappe zurückziehen sollten; zugleich erhielt ich den Befehl, mit dem Bataillone die Arriergarde zu bilden. Ich ließ daher alle Vorposten sofort schwach ablösen, nahm eine konzentrierte Stellung mit ihnen, und als die Division soweit zurückmarschiert war, daß wir sie aus dem Gesichtskreise verloren hatten, fing auch ich meinen Rückzug an. Außer dem Bataillon hatte ich noch zwei Schwadronen braunschweigischer Kavallerie unter meinem Befehl, und wenn der Feind mit Heftigkeit aufgedrungen wäre, so mußten wir in einem so offenen Terrain notwendig bedeutend verlieren, worauf ich auch ganz gefaßt war. Wider alle Erwartung folgte der Feind nur von Ferne, und ich stieß bei Jemappe zu der Division, ohne einen Schuß getan zu haben. Nach einem kurzen Halt brachen wir etwa um 2 Uhr Nachmittags wieder auf, und in dem Augenblicke entlud sich ein heftiges Gewitter mit einem so ungewöhnlich starken Regen, daß die Truppen in wenigen Minuten bis an die Knie im Wasser standen. Alles marschierte jetzt auf der großen Straße nach Brüssel, so daß der Weg durch die Menge der darauf befindlichen Truppen of gestopft war. Es traf sich, daß mein Bataillon und das 95ste englische Regiment die letzten der Infanterie waren.

Die Franzosen drängten mit ihrer Kavallerie die unsrige jetzt sehr stark und mit so gutem Erfolge, daß sie einige unserer Regimenter über den Haufen warfen. Ich sah den Feind nur noch einige hundert Schritte hinter mir, marschierte daher mit dem Bataillone von der Chaussee aufs Feld, bereit, in einem Karree den Feind zu empfangen; der Oberst Barnard tat mit dem 95sten Regimente dasselbe auf der anderen Seite. So marschierten wir bis halb 8 Uhr zu der Position bei Waterloo, ohne jedoch von der feindlichen Kavallerie angegriffen zu werden. Ich ward jetzt nach der Meierei La Haye sainte geschickt, um sie mit dem Bataillon zu besetzen. So viel das noch übrige Tageslicht und der anhaltende Regen erlaubte, machten wir kleine Verteidigungsanstalten, und legten uns dann in Erwartung der Ereignisse des nächsten Morgens nieder.

Die Meierei La Haye sainte liegt bekanntlich dicht an der Chaussee, welche von Jemappe nach Brüssel führt, im Zentrum der beiderseitigen Positionen und auch etwa in der Mitte zwischen ihnen. Das Wohnhaus, eine Scheuer und die Ställe waren mit einer Mauer im Viereck umgeben, dessen Inneres den Hofraum bildete. Vorne, nach der feindlichen Seite zu, war ein Obstgarten mit einer Hecke eingeschlossen, und nach hinten ein Küchengarten, welcher an der Chaussee mit einer kleinen Mauer, sonst aber auch mit einer Hecke umschlossen war. Aus dem Hofe selbst führten zwei Türe und drei große Tore aufs Freie, von denen die der Scheuer leider gleich Anfangs von den Truppen zerschlagen und verbrannt war.

Das Bataillon hatte 6 Kompanien, die im Ganzen nicht volle 400 Mann zählten; 3 Kompanien hatte ich in den Obstgarten postiert, 2 in die Gebäude und 1 hinten in den Küchengarten. So wichtig der Besitz der Meierei auch augenscheinlich war, so unzulänglich waren demungeachtet die Verteidigungsmittel, und ich mußte noch außerdem gleich nach dem Einrücken die Zimmerleute des Regiments in Folge erhaltenen Befehles nach dem Pachthofe Hougomont schicken, so daß mir auch nicht eine Hacke blieb, da unglücklicher Weise das mit Schanzzeug beladene Maultier am Tage zuvor verloren gegangen war.

Mit dem anbrechenden Morgen des 18. Junius suchten wir alle Mittel hervor, um Verteidigungsanstalten zu treffen, wobei die verbrannte Tür der Scheuer die größten Schwierigkeiten verursachte. Hiermit, und mit dem Kochen einiger in der Meierei vorgefundenen Kälber brachten wir den Morgen zu, als nach 11 Uhr der Angriff gegen den rechten Flügel anfing. Jeder begab sich nun auf seinen Posten, und ich verfügte mich in den Obstgarten, da dieser zunächst angegriffen werden mußte. Die Meierei liegt in einer Vertiefung, so daß eine kleine nahe vor dem Obstgarten sich herziehende Erhöhung den heranrückenden Feind verbarg. Kurz nach Mittag eröffneten einige Plänkerer den Angriff; ich ließ die Leute sich niederlegen und verbot alles Feuern, bis der Feind ganz nahe wäre. Der erste feindliche Schuß zerschlug mir den Zügel des Pferdes dicht vor der Hand, und ein zweiter tötete den bei mir haltenden Major Bösewiel. Der Feind hielt sich nicht lange mit Plänkern auf, sondern rückte sogleich mit zwei geschlossenen Kolonnen über die Höhe hervor, deren eine die Gebäude angriff, und die andere sich in Masse mit der größten Verachtung unseres Feuers auf den Obstgarten warf. Unserer geringen vereinzelten Zahl war es nicht möglich, dieser wütend angreifenden Übermacht völlig zu widerstehen; wir zogen uns an die Scheuer in eine mehr vereinigte Stellung zurück, um die Verteidigung fortzusetzen. Meinem Pferde war ein Bein zerschmettert und ich mußte das meines Adjutanten nehmen. Der Oberstleutnant von Klenke kam jetzt mit dem lüneburgischen Bataillone uns zu Hilfe. Wir griffen sofort wieder an und hatten die Feinde schon zum Weichen gebracht, als ich vorn zur Seite des Obstgartens eine starke Linie feindlicher Kürassiere sich formieren sah; zugleich kam der Hauptmann Meyer aus dem hinteren Garten, um mir zu melden, daß die Feinde den Garten umgangen hätten und es nicht möglich sein würde ihn zu halten. Ich gab ihm daher Befehl sich in die Gebäude zurück zu ziehen und diese verteidigen zu helfen. Überzeugt von der großen Gefahr, die uns durch die schwache und leicht zu durchbrechende Hecke drohte, rief ich meinen Leuten, die mit den neu ankommenden Hannoveranern infolge des Tirailleurgefechts untermischt waren, zu, sich um mich zu sammeln, indem ich die Absicht hatte, mich in die Scheuer zu ziehen. Die Zahl der uns zu Hilfe gekommenen übertraf die der Leute, welche ich unmittelbar bei mir hatte mehrfach, und da gleichzeitig feindliche Infanterie sich des Gartens bemeisterte, indem die Tirailleure durch einen Kolonnenangriff vertrieben wurden, so glaubten diese, als sie auf dem freien Felde die Kürassiere erblickten, sich nur dadurch retten zu können, daß sie der Hauptposition zueilten. Meine Stimme, jenen unbekannt und auch wohl nicht durchdringend genug, blieb mit allen Versuchen, meine Leute unter diesen höchst ungünstigen Umständen zum Stehen und Sammeln zu bringen, ungehört. Schon von der Kavallerie ereilt, stießen wir (Vom Verfasser hervorgehoben. Aus dieser Darstellung geht klar hervor, daß Baring selbst mit nach der Hauptstellung zurückgegangen ist, was Wellingtons Irrtum bezüglich der Wegnahme von la Haye Sainte in gewissem Maße erklärt.) auf die feindliche Infanterie, welche den hinteren Garten umgangen hatte, und mußten deren Feuer passieren, um die Position der Armee zu erreichen, welches auch einem Teile gelang. Trotz dieser Unfälle wurde die Meierei selbst von den darin kommandierenden Leutnants Carey und Graeme und Fähnrich Frank fortwährend tapfer verteidigt. Die englischen Dragonergarden kamen nun heran, schlugen die Kürassiere, fielen über die Infanterie her, welche schon viel gelitten hatte, und rieben sie beinahe ganz auf.

In diesem ersten Angriffe hatte ich sehr bedeutend an Leuten, so wie 3 tote und 6 verwundete Offiziere verloren. Auf mein Ansuchen um Verstärkung wurden mir daher die Kapitäns v. Gilsa und Heinrich v. Marschalck mit ihren Kompanien vom 1. leichten Bataillon zugeteilt. Diesen mit einem Teile unsers Bataillons gab ich die Verteidigung des hinteren Gartens, und überließ den vorgenannten 3 Offizieren die Gebäude, die sie schon so rühmlich verteidigt hatten. Den vorderen Obstgarten besetzte ich gar nicht wieder. Nur eine halbe Stunde Frist ward uns vom Feinde gelassen, die wir dann auch so gut wie möglich anwendeten, um uns gegen einen neuen Angriff vorzubereiten. Dieser erfolgte denn auch in eben dem Maße wie zuvor, nämlich von zwei Seiten mit zwei geschlossenen Kolonnen, die uns mit größter Geschwindigkeit beinahe ganz umschlossen und mit einer alle Gefahr verachtenden Wut fochten, die ich in solchem Grade bei Franzosen noch nicht kennen gelernt hatte. Durch ihr Aufdringen in Masse begünstigt traf jede unserer Kugeln und begnügte sich selten mit einem Opfer. Dies hinderte sie aber nicht, sich geradezu auf die Mauer zu werfen, und nach den aus den Schießlöchern gehaltenen Büchsen zu greifen, um sie dem Gegner zu entreißen; für den ebenso verwegenen Versuch, die Tore und Türen einzubrechen, büßten gar manche mit dem Leben. Der härteste Kampf war da, wo die erwähnte Scheuertür fehlte, und wo sie einzudringen fest entschlossen schienen. Auf diesem Flecke lagen in jenem Augenblicke bereits gegen 17 Feinde tot über einander, und schützten noch mit ihren Leichen die neu aufdringenden Freunde.

Während dieser Zeit formierten sich rechts vorwärts vor der Meierei vier Linien von Kavallerie; die ersten Kürassiere, die zweiten Ulanen, die dritten Dragoner und die vierten Husaren. Daß ihre Bestimmung war, die Karrees in der Position unserer Division anzugreifen, um durch deren Zernichtung die ganze Linie zu durchbrechen, blieb mir keinen Augenblick zu bezweifeln, eben so wenig, was unser Schicksal sein würde, wenn ihr Vorhaben gelänge. Indem sie nun dicht an der Meierei her gegen die Position marschierten, ließ ich das ganze Feuer, was möglicherweise dahin gebracht werden konnte, auf sie richten, wodurch zwar viele Menschen und Pferde niedergeworfen wurden, ohne indes den Mut zu brechen. Ohne sich im Mindesten um unser Feuer zu kümmern, rückten sie mit größter Unerschrockenheit vor und griffen die Infanterie an. Alles dies konnte ich übersehen, und ich gestehe gern, daß mir hin und wieder schwer ums Herz ward. Wie diese Kavallerie von unseren Infanterie-Karrees aufgenommen und zurückgeschlagen wurde, ist zu bekannt, als daß ich es hier zu berühren brauche.

Das Gefecht in der Meierei hatte mit ununterbrochener Heftigkeit fortgedauert. Nichts konnte indes den Mut unserer Leute beugen, die dem Beispiele ihrer Offiziere folgend, der Gefahr lachend Trotz boten. Nichts konnte einen höhern Mut, nichts mehr Zuversicht geben, als ein solches Benehmen zu sehen. Dies sind die Augenblicke, wo man fühlen lernt, was der Soldat einer dem anderen ist, was eigentlich das Wort Kamerad in sich faßt; es sind Gefühle, die auch den Rauhesten durchdringen müssen, die aber nur der vollständig erkennen kann, der Zeuge solcher Augenblicke gewesen ist.

Als die Kavallerie sich zurückwandte, gab auch die Infanterie ihren fruchtlosen Angriff auf, und zog sich, begleitet von unserem Hurrah und Hohngelächter, zurück. Unser Verlust war bei diesem Angriffe nicht so bedeutend wie zuvor gewesen; mir aber war mein Pferd wieder erschossen, und da mein Bedienter mich tot geglaubt und mit meinen anderen Pferden weggeritten war, so ließ ich von den vielen herrenlos umher laufenden mir eines auffangen.

Das Zertrümmerte herzustellen und zu verbessern war die erste Sorge für alle. Meine ängstlich größte aber war die Munition, die ich durch das anhaltend heftige Feuer denn auch schon bis über die Hälfte abgenommen fand. Sogleich schickte ich einen Offizier mit diesem Berichte zurück und bat um Munition, welche mir auch versprochen wurde. Eine Stunde mochte unter diesen Vorrichtungen verstrichen sein, als ich wiederum zwei feindliche Kolonnen auf die Meierei heranmarschierend entdeckte; mit der Meldung davon sandte ich einen Offizier zu der Position zurück, und ließ zugleich die Bitte um Munition wiederholen.

Schon wurde unsere kleine Aufstellung mit gleicher Wut wie vorhin angegriffen und mit gleichem Mute verteidigt, als mir die Schützenkompanie des 5. Linienbataillons unter Kapitän v. Wurmb zu Hilfe geschickt ward, die ich mit im Hofe aufstellte. So willkommen mir diese Verstärkung auch war, so konnte sie mir den Mangel der Munition doch nicht ganz ersetzen, der mit jedem Augenblicke zunahm, so daß ich nach einer halben Stunde unausgesetzten Kampfes wieder einen Offizier mit derselben Bitte abschickte, die eben so fruchtlos blieb wie die früheren Bemühungen. Jedoch schickte man mir noch 200 Mann Nassauer. An dem mehrgenannten offenen Eingange der Scheuer erhob sich jetzt der heftigste Kampf. Dem Feinde, welcher durch offene Gewalt nichts ausrichten konnte, war es gelungen, Feuer hinein zu werfen, denn durch kein Mittel erreichte er leichter, uns aus der Meierei zu vertreiben, als dadurch, daß er sie niederbrannte.

Unser Schreck war daher nicht gering, als wir einen dicken Rauch aus der Scheuer emporsteigen sahen, und die Not wuchs mit jedem Augenblicke; zwar war Wasser im Hofe, aber alle Gerätschaften zum Schöpfen und Tragen fanden wir zerschlagen. Zum Glück trugen die Nassauer große Feldkessel; ich riß einem Mann den Kessel vom Rücken, mehrere Offiziere folgten meinem Beispiele, füllten die Kessel mit Wasser und trugen sie, den beinahe gewissen Tod verachtend, aufs Feuer. Leute, die schon mit solcher Tapferkeit gefochten hatten, bedurften des Beispiels ihrer Offiziere kaum mehr, in wenigen Augenblicken trug kein Nassauer einen Kessel und das Feuer wurde damit glücklich gelöscht, leider aber auch mit dem Blute manches braven Mannes. Mehrere der Leute waren, obgleich mit Wunden bedeckt, nicht zum Zurückgehen zu bringen. So lange unsere Offiziere fechten und wir stehen können - war ihre stete Antwort - weichen wir nicht von der Stelle. Ich würde ungerecht gegen einen Schützen namens Friedrich Lindau handeln, wenn ich seiner hier nicht erwähnte. Schon aus zwei Wunden am Kopfe blutend, und mit einem beträchtlichen Beutel voll Goldstücken in seiner Tasche, den er einem feindlichen Offizier abgenommen, stand er an der rückwärts gelegenen kleinen Scheuertür und verteidigte von da den vor ihm befindlichen großen Eingang. Ich hieß ihn zurückgehen, da das um seinen Kopf gebundene Tuch nicht hinreichte, das heftige Bluten zu stillen. Er aber, uneingedenk seiner Wunden und seines Goldes, erwiderte: "ein Hundsfott, der von Ihnen weicht, so lange der Kopf noch oben ist!" Er ward nachher gefangen und büßte seine Schätze ein.

Anderthalb Stunden mochte dieser Angriff wohl wieder gedauert haben, als die Franzosen, von ihren vergeblichen Anstrengungen ermüdet, sich noch einmal zurückzogen. Leicht wird man mir unsere Freude darüber glauben. Mit jedem erneuerten Angriffe ward ich mehr von der Wichtigkeit überzeugt, die in der Erhaltung dieses Postens lag. Mit jedem Angriffe nahm also auch das Gewicht der Verantwortlichkeit zu, und ich darf wohl behaupten, daß diese nirgend schwerer ist als da, wo der Offizier im Felde sich selbst überlassen augenblicklich einen Entschluß fassen muß, von welchem vielleicht seine und der seinigen Ehre und Leben, ja selbst noch größere Erfolge jeder Art abhängig sein können. Bei Schlachten sind bekanntlich die anscheinend größten Kleinigkeiten nicht selten von unberechenbarem Einflusse.

Welche Gefühle mich daher ergriffen, wie ich beim Überzählen der Patronen fand, daß der Mann im Durchschnitte nur noch 3 bis 4 Stück hatte, das wird jeder erwägen, der sich in meine Rolle denkt. Die Leute achteten nicht auf ihre durch ungeheure Anstrengungen abnehmenden Kräfte, und verrammelten sogleich die Löcher, welche die feindlichen Kanonenkugeln in den Mauern bewirkt hatten; aber nicht unempfindlich blieben sie über die Lage, worin der Mangel an Munition bei einem Angriffe sie versetzen mußte, und machten mir darüber die billigsten Bemerkungen, deren ich wahrlich nicht bedurfte, um die dringendsten Vorstellungen zu erneuern, und am Ende bestimmt zu berichten, daß ich einen neuen Angriff in diesem Zustande abzuschlagen nicht fähig sei. Alles blieb ohne Erfolg! (Es ist zu bemerken, daß das Bataillon mit Büchsen bewaffnet war, und daher die gewöhnliche Infanterie-Munition nicht gebrauchen konnte. Dieser Umstand macht das Vorgefallene erklärlich, zeigt aber auch zugleich, wie gefährlich es werden kann, wenn man Feuergewehre von verschiedenen Kalibern hat. - Anm. der Redaktion des hannov. militär. Journals) Mit welcher Angst sah ich jetzt wieder zwei feindliche Kolonnen auf uns zu marschieren! Gesegnet hätte ich in diesem Augenblicke die Kugel, die meinem Dasein ein Ende bereitet hätte. Aber mehr als das Leben stand auf dem Spiele, und die ungewöhnliche Gefahr erforderte ungewöhnliche Anstrengung und Festigkeit. Auf mein Zureden zum Mute und zur Sparsamkeit mit der Munition erhielt ich die einstimmige Antwort: "Keiner weicht von Ihnen, wir fechten und sterben mit Ihnen!" Keine Feder, auch die eines Mannes nicht, der solche Augenblicke erlebt hat, vermag die Gefühle zu beschreiben, die er in mir erregte! Alles verschwindet dagegen. Noch nie hatte ich mich so hoch gefühlt. Aber auch noch nie war ich in eine so grausame Lage versetzt gewesen, wo die Ehre mit der Sorge für die Erhaltung der Männer stritt, welche mir jetzt einen so unbegrenzten Beweis von Zutrauen gaben.

Zum Nachdenken ließ der Feind mir keine Zeit, denn schon war er dicht an unsere schwachen Mauern gekommen, und griff nun, erbittert durch den erfahrenen Widerstand, mit erneuter Wut an. Der Kampf begann wieder zuerst an der Scheuer, wo es ihm abermals gelang, Feuer hinein zu werfen, welches auf die nämliche Weise wie zuvor glücklich gelöscht wurde. Jeder Schuß, den wir taten, erhöhete meine Angst und Sorge; ich schickte jetzt nochmals zurück, mit dem bestimmten Bericht, daß ich den Posten verlassen müsse und werde, wenn ich keine Munition erhielte. Auch dies blieb fruchtlos. Immer mehr und mehr nahm jetzt unser Feuer ab, und in demselben Sinne wie dieses fiel, stieg unsere Verlegenheit. Schon hörte ich mehre Stimmen wiederholt nach Munition rufen, mit dem Zusatze: wir wollen ja gern bei ihnen bleiben, aber wehren müssen wir uns doch können! Selbst die Offiziere, die den ganzen Tag den größten Mut gezeigt hatten, stellten mir die Unmöglichkeit vor, unter solchen Umständen den Posten zu halten. Der Feind, der nur zu bald unsere Not bemerkte, brach jetzt keck eine der Türen ein. Da aber nur wenige zur Zeit eindringen konnten, so wurden diese dem Bajonette geopfert und dadurch die Hinteren scheu, den Vorderen zu folgen. Sie erstiegen nun die Mauern und Dächer, von wo aus ihnen meine unglücklichen Leute ungestraft zur Zielscheibe dienten; zugleich drängten die Feinde durch die offene Scheuer, die nicht mehr verteidigt werden konnte. So unbeschreiblich schwer mir nun auch der Entschluß wurde, den Platz aufzugeben, so mußte die Stimme der Pflicht als Mensch doch jene der Ehre hier überbieten. Ich gab den Befehl, sich durchs Haus in den hintern Garten zu ziehen. Was mir diese Worte kosteten, und von welchen Gefühlen sie begleitet waren, möge der beurteilen, der in gleicher Lage gewesen ist!

Aus Furcht über den schlimmen Eindruck, den das Zurückziehen aus dem Hause auf die Mannschaft im Garten machen konnte, und um zu sehen, was dort möglicherweise noch zu halten sein würde, mußte ich den vorgenannten drei Offizieren die Ehre überlassen, die letzten zu sein. Da der Durchgang des Hauses sehr schmal war, so wurden mehre Leute von den Feinden ereilt, die ihre Wut an ihnen mit den niedrigsten Schimpfworten und der brutalsten Behandlung ausließen. Zu diesen gehörte der Fähnrich Frank, der schon verwundet war. Den ersten, der ihn angriff, durchstach er mit dem Säbel, ein anderer aber zerschmetterte ihm in diesem Augenblicke den Arm durch eine Kugel. Demungeachtet gelang es ihm, sich in ein Zimmer zu flüchten und hinter einem Bette zu verstecken. Noch zwei Leute flüchteten auch in diese Stube, die Franzosen folgten ihnen aber auf dem Fuße und schrien; pas de pardon à ces brigands verts! und erschossen sie vor seinen Augen. Er hatte das wohlverdiente Glück unentdeckt zu bleiben, bis das Haus demnächst wieder in unsere Hände fiel. (Diese Darstellung klingt unbeabsichtigt nicht gerade schmeichelhaft für Frank. In Wirklichkeit erhielt jener fast zu gleicher Zeit, wo ihm sein rechter Arm nahe dem Handgelenk zerschmettert wurde, einen zweiten Schuß mitten durch die Brust und taumelte in das an den Flur grenzende Zimmer, dort für tot neben einem Bette zusammenstürzend.)

Da ich mich nun vollkommen überzeugt hielt, und alle Offiziere mir beistimmten, daß der Garten nicht zu behaupten wäre, wenn der Feind im Besitze des Wohnhauses sei, so ließ ich jetzt die Leute sich einzeln nach der Position der Armee zurückziehen. Der Feind, wahrscheinlich froh über die Einnahme der Meierei, tat uns keinen Abbruch auf diesem Rückzuge. Die Leute, welche ich von fremden Korps gehabt hatte, entließ ich dorthin, und mit dem schwachen Reste der mir übrig gebliebenen Mannschaft setzte ich mich an zwei Kompanien des 1. leichten Bataillons, welche hinter der Meierei in der Position hart an der Chaussee einen Hohlweg besetzt hatten, und von dem Oberstleutnant Louis v.d. Bussche kommandiert wurden. Obgleich ich keinen Schuß mehr tun konnte, so half ich doch die dort stehende Menge vergrößern, und ließ die Leute mit in den Hohlweg treten. Hier fing der Kampf mit erneuter Heftigkeit wieder an, indem die feindliche Infanterie, von meiner Meierei aus, vordrang. Jetzt mußte ich den Kapitän Heinrich v. Marschalck fallen sehen, dessen vorhin bewiesene unübertreffbare Tapferkeit und Ruhe mir eben so unvergeßlich bleiben wird, wie er selbst es mir als Freund ist; auch dem Kapitän von Gilsa ward die rechte Schulter zerschmettert. Ebenso wurde der Leutnant Albert an dieser Stelle erschossen und dem Leutnant Graeme die rechte Hand zerschmettert, indem er eben den Tschako in der Luft schwang und den Leuten Mut zurief. Beide wollten trotz alles Zuredens nicht in den Hohlweg treten, sondern hielten sich oben am Rande desselben auf. Bei dem Verlassen des Gebäudes war Kapitän Holtzermann und Leutnant Jobin gefangen und Leutnant Carey verwundet worden, so daß die Zahl meiner Offiziere sehr herabgeschmolzen war. Ich ritt ein Dragonerpferd, dessen Sattel mit großen Pistolenholstern und einem Mantel darüber bedeckt war; das Feuer war so heftig, daß hier vier Kugeln hineinschlugen und eine andere den Sattel durchbohrte, wie ich abgestiegen war, um den Hut wieder aufzunehmen, den eine Kugel mir vom Kopfe gerissen hatte.

Das uns rechts stehende 5. Bataillon der Deutschen Legion wurde darauf beordert, die feindliche Infanterie mit dem Bajonette anzugreifen. Das Bataillon führte dies mit dem größten Mute aus; in dem Augenblicke aber, wie es hierdurch in eine unvermeidliche Unordnung geraten war, brach ein Regiment französischer Kürassiere aus dem Hinterhalte hervor und rächte schrecklich den Abbruch, den seine Kameraden so eben erlitten hatten. Die Kürassiere hielten dies für eine schöne Gelegenheit die Linie zu durchbrechen, indem sie wahrscheinlich unsere Leute in der Vertiefung nicht gewahrten. Allein, auf 20 Schritte nahe gekommen, erhielten sie ein solches Feuer, daß sie in großer Unordnung umkehrten, gehörig verhöhnt von den Leuten. In diesem Augenblicke rückte unser 3. Husaren-Regiment heran; die Kürassiere formierten sich wieder mit unglaublicher Schnelligkeit und boten ihnen die Stirn. Beide Korps schienen einander nicht recht zu trauen, jedoch brachen gleich darauf die Husaren ein, und das Gefecht, etwa 200 Schritt vor uns, war, obgleich nur kurz, doch sehr blutig. Nach etwa einer viertel Stunde des heftigsten Kampfes zogen sich beide Teile zurück; die Husaren gingen zwischen unsere Infanterie.

Hierbei ereignete sich ein besonderer Vorfall. Ein Korporal der Husaren war, eingeschlossen von den Kürassieren, mit fortgerissen, hatte sich aber dennoch seinen Weg zwischen ihnen heraus zu bahnen gewußt; ein Kürassier hatte dasselbe Geschick zwischen den Husaren gehabt, und als beide zu ihren Korps zurückeilen wollen, begegnen sie sich etwa auf der Hälfte des Weges. Obgleich der Husar schon heftig blutete, so griffen sie einander doch gleichzeitig an, und wenn schon dies unter den Augen ihrer gegenseitigen Korps geschah, so rückte doch niemand heraus, um den Kampf zu unterbrechen. Ich zitterte mit Recht für den Husaren, da ich ihn hatte bluten sehen; allein seine Gewandtheit siegte über die Stärke des Gegners, er gewann ihm die linke Seite ab, brachte ihm einen Hieb durchs Gesicht bei, streckte ihn mit einem zweiten vollends zu Boden und kehrte ruhig, unter Ausrufungen des Beifalls von unserer Seite, zu seinem Korps zurück.

Neue feindliche Infanterie-Kolonnen waren in dieser Zeit herangerückt und griffen wieder an. Nichts schien dem Morden ein Ende machen zu können, als gänzliche Vernichtung des einen oder andern Teiles. Mein Pferd, das dritte, welches ich an dem Tage ritt, erhielt eine Kugel in den Kopf; es hob sich, und im Niederstürzen fiel es auf mein rechtes Bein und drückte mich so fest in den tiefen Lehmboden, daß ich trotz aller Anstrengung mich ihm nicht entziehen konnte. Die Leute im Hohlwege hatten mich für tot gehalten und erst nach einiger Zeit kam einer heraus, mich zu befreien. Obgleich mein Bein nicht gebrochen war, so hatte ich doch den Gebrauch desselben für den Augenblick verloren. Ich bat sehr dringend um ein Pferd und bot Geld über Geld; allein Menschen, die sich meine Freunde nannten, vergaßen dieses Wort, und dachten nur an ihr eigenes Interesse. - Ich kroch zu dem nächsten hinter der Fronte liegenden Hause; ein Engländer war barmherzig genug, ein umherirrendes Pferd für mich aufzufangen, einen Sattel darauf zu legen und mir hinaufzuhelfen. Ich ritt sodann wieder vor, wo ich die schwere Verwundung des General Alten erfuhr. Ich erblickte den Teil der Position, den unsere Division inne gehalten hatte, nur noch schwach und einzeln besetzt; vor Schmerz meiner selbst kaum bewußt, ritt ich gerade hinauf zu dem Hohlwege, wo ich unsere Überreste verlassen hatte. Aber auch die hatten wegen gänzlichen Mangels an Munition sich nach dem Dorfe zurückziehen müssen, um dort wo möglich Patronen zu finden. Ein feindlicher Reiter trieb mich endlich vom Fleck, und mit dem Gefühle des bittersten Unmutes zurückreitend, begegnete mir ein Offizier, welcher mir jene Nachricht mitteilte. Ich befahl ihm, meine Leute, und wären ihrer nur noch zwei Mann, wieder herzuführen, da ich Hoffnung hätte, einige Munition zu bekommen. Unmittelbar nachher erschallte auf der ganzen Linie der Ausruf: Victoria! Victoria! und eben so kräftig: Vorwärts! Vorwärts! - Welch ein unglaublicher Wechsel! Da ich noch keine Leute wieder hatte, schloß ich mich an das 1. Husarenregiment und verfolgte mit diesem den Feind, bis es dunkel wurde, und ich nach dem Schlachtfelde zurückkehrte.

Die Division, welche schrecklich ermüdet war und unendlich gelitten hatte, blieb die Nacht über auf dem Schlachtfelde liegen, und mir waren von den 400 Mann, womit ich die Schlacht eröffnet hatte, nicht mehr als 42 übrig geblieben. Nach wem ich auch fragen mochte, die Antwort lautete: tot! - verwundet! - Ich gestehe frei, daß mir die Tränen unwillkürlich aus den Augen drangen über diese Nachrichten, und auch über so manches herbe Gefühl, was sich meiner willenlos bemächtigte. Aus diesen trüben Gedanken erweckte mich der Generalquartiermeister unserer Division, Major Shaw, welcher mein vertrauter Freund war. Ich fühlte mich in hohem Grade ermattet und das Bein war sehr schmerzhaft; mit meinem Freunde legte ich mich auf etwas Stroh, welches die Leute für uns zusammengesucht hatten, zum Schlafen nieder. Beim Erwachen fanden wir uns zwischen einem toten Menschen und einem toten Pferde. Doch ich will diese Szenen des Schlachtfeldes mit ihrem Elend und Jammer mit Stillschweigen übergehen.

Wir begruben die toten werten Freunde und Kameraden; unter ihnen war auch der Kommandeur der Brigade, Oberst von Ompteda, und so mancher wackere Mann. Nachdem etwas gekocht war und die Leute sich nur einigermaßen erholt hatten, brachen wir von dem Schlachtfelde zur Verfolgung des Feindes auf.