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Die kurhannoversche Armee 1803

Der Friede zu Amiens zwischen Frankreich und England war geschlossen und damit der letzte Gegner der französischen Republik vom Schauplatz abgetreten. Gebieterisch hatte sich die Notwendigkeit einer Beendigung des 8½jährigen Seekrieges in beiden Staaten gezeigt. Bonaparte bedurfte des Friedens, um die äußere Machtfülle seines Staates durch innere Reformen und wirtschaftliche Erstarkung zu befestigen; England war durch die schweren Opfer des Krieges und die nach Frieden verlangende Volksstimmung, der das Ministerium Pitt zum Opfer fiel, zum Friedensschluß geneigt geworden. So war einem im Herbst 1801 abgeschlossenen Waffenstillstande am 27. März 1802 die Unterzeichnung des förmlichen Friedensschlusses zu Amiens gefolgt.

Im Großen und Ganzen konnte Frankreich mit den erlangten Bedingungen wohl zufrieden sein; versprach doch England, viele seiner französischen, holländischen und spanischen Eroberungen zurückzugeben. Indes bedeutete der Frieden für Frankreich doch die Aufgabe seiner Stellung im Mittelmeer, da das von den Engländern noch besetzte Malta den Johannitern, Ägypten den Türken zurückgegeben werden sollte, die ionischen Inseln aber zur Republik erklärt wurden. Auf allen Meeren stand England trotz des Friedens von Amiens allmächtig da. Nur durch eine Verschließung der Küsten konnte Bonaparte - das erkannte er bereits jetzt - des verhaßten Gegners Stärke brechen.

Die öffentliche Meinung in England, so sehr sie anfänglich nach Frieden begehrt hatte, war indes keineswegs damit einverstanden, daß so viele Eroberungen wieder herausgegeben werden und Ceylon und Trinidad die einzige Frucht der langen Kriegsjahre bilden sollten. Besonders die Aufgabe Maltas, dieses handelspolitisch und strategisch wichtigsten, obendrein mit den Waffen gewonnenen Punktes im östlichen Mittelmeer, war dem britischen Stolz fast unerträglich. Als nun auf dem Kontinent der erste Konsul durch mancherlei Eigenmächtigkeiten den Friedensbedingungen von Lunéville zuwider zu handeln anfing, so im Herbst 1802 bei Ausbruch von Unruhen in Bern 30.000 Mann in die Schweiz einrücken ließ, "um die Regierung der helvetischen Republik gegen die Aristokratie zu schützen", da hielt England - eine der Garantiemächte des Lunéviller Friedens - sofort mit der Herausgabe seiner Eroberungen inne. Es ließ durch seinen Gesandten erklären, "wie es nicht annehme, daß noch irgend weitere Versuche gemacht werden würden, die unabhängige Schweizer Nation in der Ausübung ihres guten Rechtes zu beschränken". Malta hielt es daraufhin dauernd besetzt.

Eine schwüle Zeit ernster politischer Spannung folgte. Ungeachtet des tiefen Friedensbedürfnisses seines Landes begann Bonaparte, seinen Nebenbuhler um die Weltherrschaft in der gröbsten Weise zu reizen. Diplomatische Anweisungen von unerhörter Formlosigkeit wurden dem französischen Gesandten in London übermittelt: "der erste Konsul fürchte den Seekrieg nicht; ein Erfolg Englands würde Frankreich vielleicht dazu zwingen, Europa zu erobern". Im Moniteur erschienen verletzende auf den ersten Konsul selbst zurückzuführende Artikel, die jenseits des Kanals in schärfster Weise erwidert wurden. Alles trieb dem Friedensbruch zu, den man äußerlich auf beiden Seiten noch zu vermeiden suchte. Daß Bonaparte ernstlich den Frieden gewollt habe, könnte man vielleicht aus der geheimen Sendung des Generals Duroc nach Berlin im Dezember 1802 schließen: Preußen möge aus eigenem Interesse diplomatisch auf England einwirken, da im Kriegsfalle der erste Konsul Hannover besetzen würde. In dieser diplomatischen Anweisung, die allerdings auch eine andere Ausdeutung zuläßt, tritt die unglückliche Rolle, welche das durch Personalunion seit dem 12. August 1714 mit England verbundene Hannover in den folgenden Jahren spielen sollte, schon klar zu Tage.

In England konnte selbst eifrigen Friedensfreunden ein Friede mit einem so unverhüllt auftretenden Welteroberer auf die Dauer nicht geraten erscheinen. Am 20. Februar 1803 hatte Bonaparte den gesetzgebenden Körper eröffnet und zum Schluß die herausfordernde Drohung ausgesprochen: "England allein könnte jetzt mit Frankreich nicht anbinden".

Hierin sollte er sich gründlich täuschen. Am 8. März 1803 bereits richtete der König von England eine Botschaft an das Parlament, betonte die Notwendigkeit weiterer Rüstungen und forderte die Nation zu umfassender Beihilfe auf. Einmütig, wie England sich in allen großpolitischen Fragen - anderen Nationen zum Vorbilde - stets gezeigt hat, erklärten beide Häuser ihre Zustimmung, ungeachtet der schweren finanziellen Belastung des Reichs.

In Paris wurde am 11. März dem englischen Gesandten Lord Whitworth eine Note des Ministers Talleyrand übergeben, worin um Erklärung hinsichtlich der englischen Rüstungen ersucht wurde. Falls keine genügende Aufklärung erfolge, sähe sich der erste Konsul genötigt, 20.000 Mann nach Holland zu senden. Wenn sich diese Truppen einmal in Holland befänden, so sei es natürlich, daß sie an den Grenzen von Hannover ein Lager bezögen.

Dem französischen Gesandten Andreossy, der in London Beschwerde über die Besetzthaltung von Malta führte, erwiderte Lord Hawkesbury, der Staatssekretär des Auswärtigen: "Verträge würden mit Rücksicht auf den Besitzstand beider Teile geschlossen; Frankreich habe diesen seit dem Frieden von Amiens eigenmächtig abgeändert, England könne sich daher nicht verpflichtet halten, Malta zu räumen."

Im Laufe der nächsten Wochen wurden nun zwar die diplomatischen Verhandlungen noch weitergesponnen, die Erregung war aber schon zu hoch gestiegen. Der englische Gesandte verließ am 12. Mai Paris, am 18. Mai erfolgte von London die Kriegserklärung.

Von allen diesen Geschehnissen hatte der in der britischen Hauptstadt mit Wahrnehmung der hannoverschen Angelegenheiten beauftragte Staats- und Kabinettsminister v. Lenthe genaue Kenntnis, tat aber fast nichts, um das hauptsächlich seiner Obhut anvertraute Kurfürstentum bei Zeiten zur Abwehr zu rüsten.

Werfen wir nun einen Blick nach dem Festlande.

Hier hatte inzwischen die beschämende Aufteilung des alten heiligen römischen Reiches deutscher Nation stattgefunden. Unter französischem Vorsitz war die europäische Karte dahin verändert worden, daß der Rhein Frankreichs Grenze bildete, und die zu Abtretungen auf dem linken Ufer genötigten Fürsten aus anderweiten - vorzugsweise geistlichen - Gütern auf dem rechten entschädigt wurden. Aus der Konkursmasse des deutschen Kaiserreichs erjagte jeder, was er konnte; deutlich trat schon die künftige Gestaltung der französischen Vasallenstaaten am Rhein in die Erscheinung. In des Korsen Seele aber erstarb der letzte Rest von Achtung für die Machthaber des alten Europa.

Auch das Kurfürstentum Hannover (Die Personalunion bestand seit dem 12. August 1714, wo der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover nach dem Tode der Königin Anna als König Georg I. den englischen Thron bestieg.) hatte für einige unbedeutende Abtretungen eine erwünschte Abrundung seines Gebiets durch das Hochstift Osnabrück erhalten. Friedlich lebte das Volk unter der Herrschaft seiner Kabinettsminister und Geheimräte dahin. Mißstände mancher Art waren wohl vorhanden, wurden aber bei dem patriarchalischen Verhältnis der Regierung seitens der gutartigen Bevölkerung wenig empfunden. Von dem mächtigen Emporblühen Hamburgs seit der französischen Revolution hatte sich ein reicher Handelssegen in die nördlichen Teile des Kurfürstentums zwischen Elbe und Weser ergossen, in dem Zusammenhang mit England sah seit dem Frieden von Amiens niemand mehr etwas Bedrohliches. Man hoffte vielmehr, bei ruhiger Weiterentwicklung die Schäden der schweren Zeiten von den Revolutionskriegen bis zu der preußischen Besitznahme des Landes 1801 bald zu überwinden. Der Winter von 1802 auf 1803 "war einer der brillantesten in Hannover, als ob er - ohne alle Ahnung - der letzte dieser Art sein sollte. Fast allgemeiner Wohlstand und Zufriedenheit herrschten im Lande."

Das unglückliche Jahr 1803 ereilte Hannover wie ein Schlag aus heiterem Himmel. Als auf Anweisung des ersten Konsuls von Holland her Mortier sich mit einem schwachen Korps in Bewegung setzte, da war im Lande noch nichts Ernstliches für die Verteidigung geschehen. Über Konferenzen und Korrespondenzen war die wertvolle Zeit vergeudet worden. Nur die rücksichtslose Militärdiktatur eines besonders energischen Mannes hätte hier unter Anspannung aller Machtmittel des Landes den Franzosen einen ernsten Widerstand zu bereiten vermocht. Ein solcher Mann war aber der Oberbefehlshaber der kurfürstlichen Armee, Feldmarschall Graf Wallmoden, nicht, er hatte auch garnicht die in solcher Zeit erforderlichen Vollmachten und nicht das Herz, sich dieselben eigenmächtig anzumaßen.

So verfiel man in Hannover auf das ungückseligste aller Auskunftsmittel und trat der französischen Armee mit Verhandlungen gegenüber. Aus vergeblichen Versuchen, eine bewaffnete Neutralität durchzusetzen, da ja Hannover trotz der englischen Kriegserklärung mit Frankreich in Frieden lebe, ergab sich zunächst die tief bedauerliche Konvention zu Suhlingen (3. Juni 1803), wonach die Armee hinter die Elbe zurückgeführt werden mußte. Das ganze Land mit seinen Vorräten und der reich ausgestatteten Festung Hameln wurde den Franzosen widerstandslos und mit gedankenloser Gewissenhaftigkeit überlassen. Ein zweiter noch kläglicherer Vertrag - die Elbkonvention, auch Artlenburger oder Lauenburger Konvention genannt - führte am 5. Juli 1803 zur Entwaffnung und Auflösung der gesamten hannoverschen Armee.

Kurhannover hatte aufgehört zu bestehen. Eine stolze Armee schien für immer aus der Geschichte ausgelöscht.

Das schmähliche Ende des Kurfürstentums und der Armee rief noch im Jahre 1803 hunderte von Flugschriften hervor, aus denen zum überwiegenden Teil tiefe Trauer über das Geschehene spricht. Es fehlte indes auch nicht an Stimmen, welche von der französischen Herrschaft Abstellung von Mißständen, insbesondere das Aufhören des Protektionswesens und des Adelsregiments, und weitere Verbesserungen erhofften.

Bis in unsere Tage ist die Frage erörtert worden, wer hauptsächlich die Verantwortung für die Geschehnisse des Jahres 1803 zu tragen habe. Ein Eingehen auf dieselbe würde hier zu weit führen; soviel aber ist sicher, daß der Feldmarschall Graf Wallmoden nicht der allein Schuldige war. Der zeitraubende Notenaustausch mit der deutschen Kanzlei in London, die zögernde und entmutigende Haltung des Kabinettsministers v. Lenthe daselbst und nicht zum Letzten die "Ombrage"-Furcht des hannoverschen Ministeriums mußten alle kräftigen Maßnahmen im Keime ersticken. Sie hätten auch einen energischeren Mann zur Untätigkeit verdammt.

Haben wir bisher in großen Zügen die Ereignisse nur gestreift, so müssen wir jetzt den letzten Bestand der aufgelösten Armee und die Bedingungen der Artlenburger Konvention genauer betrachten, um das Verständnis für die eigenartigen Verhältnisse der Königlich Deutschen Legion zu gewinnen.